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Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)

Titel: Eine Liebe zu sich selbst, die glücklich macht (German Edition)
Autoren: Margarete Mitscherlich
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heroische Selbstaufopferung, die sie dann an Frau N. schildert, die bestimmend war – sowohl in ihrem Verhältnis zu Liebermann wie auch bezüglich ihrer Begeisterung für die sozialistische Bewegung. Auch sie wurde wegen dieser Liaison von der bürgerlichen Gesellschaftsschicht der Stadt, in der sie lebte, geächtet, ja, sie forderte die Empörung dieser Gesellschaft, deren Ideale sie mit den Ansichten der verachteten Mutter gleichsetzte, der gegenüber sie nur zu gern ihre Ablehnung demonstrierte, geradezu heraus. Ihren Vater, von dem sie in dieser Zeit manchen Affront zu erdulden hatte, entschuldigt sie immer wieder und hält an dem Glauben fest, dass er im Grunde nie aufgehört habe, sie zu lieben.
    Die Art, wie Helene Deutsch das Schicksal der Frau in ihrer Psychologie der Frau darstellte, hat also viel mit ihr zu tun, ihren Bedürfnissen, Schuldgefühlen und Triebbedürfnissen.
    Alles dies – die Triebbedürfnisse, die Schuldgefühle etc. – spielt aber im psychischen Haushalt des alten Menschen eine zunehmend geringere Rolle. In diesem Alter ist es vermehrt die Angst vor dem Alleingelassen-Werden, von der Gesellschaft »verstoßen«, nicht mehr beachtet zu werden, die im Vordergrund steht. Helene Deutsch spricht zu Beginn ihrer Memoiren selber von ihrer großen Einsamkeit; sie sieht darin, von niemandem mehr wirklich gebraucht zu werden, die Not und das Leiden des Alterns. Infolgedessen ist es, so meine ich, nicht verwunderlich, wenn sie in der Darstellung des Schicksals von Frau N. das herausstellt, was zur Zeit der Niederschrift in ihrem eigenen Gefühlsleben vorherrschend ist.
    Das Typische der Adoleszentenhaltung von Helene Deutsch soll gleichwohl nicht übersehen werden. Es entsprach dem Denken und Handeln in der intellektuell und politisch interessierten Jugend der mittleren und höheren bürgerlichen Schichten ihrer Zeit. Wenn sich Helene Deutsch damals einer illegalen Beziehung zu einem Mann und einer an den Grenzen der Legalität arbeitenden politischen Bewegung hingibt, wenn ihre Idealisierungen und Selbstaufopferungsphantasien ihr Liebesleben wie ihre politische Einstellung bestimmen, so mag das durchaus ein für Teile des Bürgertums zeittypisches weibliches Verhalten zum Ausdruck bringen. Es darf aber auch nicht übersehen werden, dass es für die Frau damals kaum eine andere Möglichkeit gab, Aufsehen zu erregen, d.h., die narzisstischen Bedürfnisse, im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit zu stehen, befriedigen zu können.
    Später war es für Helene Deutsch die Psychoanalyse, die alle Interessen befriedigen und Bedürfnisse erfüllen sollte. Freud war nun derjenige, der, wie vorher Liebermann, für ihre Interessen die Richtung vorgab, ihren Wunsch nach einer idealen Vaterfigur erfüllte, ihre revolutionären Bedürfnisse befriedigte. Wie mit Liebermann sah sie sich in eine Gegenposition zu der bürgerlichen Gesellschaft versetzt, die für sie die kleinlich-egoistischen Verhaltens- und Denkweisen der Mutter repräsentierte. Die Einheit mit dem Vater, die Bekämpfung der Mutter konnten auf diese Weise sublimiert und für sie befriedigend fortgesetzt werden. Dass eine solche Haltung dennoch tiefgehende Schuldgefühle und eine entsprechende masochistische Neigung zur Selbstbestrafung hervorruft, ist dem Psychoanalytiker wohl bekannt und wird auch Helene Deutsch nicht verborgen geblieben sein. Ihre in diese Richtung weisenden Arbeiten bilden deutlich den Versuch, sich mit diesen Tendenzen und drückenden Schuldängsten auseinanderzusetzen.
    Was immer der Vater ihr auch antat, sie gab die Liebe zu ihm und den Glauben an seine Liebe nie auf. Nicht unähnlich verhielt sie sich Freud gegenüber. Dieser brach die Analyse mit ihr bereits nach einem Jahr ab, weil er seine Zeit einem anderen, wie er meinte, kränkeren Patienten zur Verfügung stellen musste, dem später berühmt gewordenen »Wolfsmann«. Obwohl der Abbruch ihrer Analyse eine depressive Verstimmung zur Folge hatte, kam Helene Deutsch gar nicht auf den Gedanken, Freud deswegen Vorwürfe zu machen. Sie nahm seine Begründung als durchaus plausibel an. Allerdings sollten wir auch nicht übersehen, dass die Zeit, die damals für eine Lehranalyse vorgesehen wurde, bedeutend kürzer war, als das heutzutage der Fall ist.
    Es war also anscheinend nichts Auffälliges daran, dass Deutschs Lehranalyse bereits nach einem Jahr abgebrochen wurde, während ein Analysand heutzutage, der mit einer über Jahre seiner Ausbildung dauernden Analyse rechnet, hierin
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