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Eine lange dunkle Nacht

Eine lange dunkle Nacht

Titel: Eine lange dunkle Nacht
Autoren: Christopher Pike
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aufzuschneiden. Ihre Eltern waren weg. Sie hatte die ganz Nacht Zeit zum Sterben. Lautlos quoll das Blut ins Badewasser, und die Frau lehnte sich zurück und schloß die Augen.
    Die junge Frau hatte sich in der Annahme getäuscht, der Tod würde all ihre Probleme lösen.
    Teresa schaltete das Video ab.
    Mit einem Mal wurde ihr alles klar.
    Diese wahnwitzige, verrückte Nacht. Natürlich gab es keine Hexen, keine magischen Schlösser, keine Zauber Priester. Solche Dinge existierten nicht auf dem Planeten Erde.
    »Ich habe mich umgebracht«, sagte sie.
    »Genau!« rief Free fröhlich. »Und ich bin hier, um dich zu holen, um meine schwer verdiente Belohnung abzuholen. Deswegen habe ich diesen Leichensack dabei.«
    Teresa torkelte in die Küche, stützte sich dabei an der Wand ab. »Ist das wirklich wahr?« fragte sie Poppy. »Bin ich tot?«
    Poppy war blaß und erschöpft. Sie drückte ihre Zigarette im Aschenbecher aus. »Fast«, sagte sie, und das Bedauern in ihrer Stimme war nicht zu überhören.
    Teresa nickte. Sie mußte nicht ins Badezimmer gehen und nachschauen. Sie wußte auch so, daß dort eine sterbende Frau lag.
    »Wie lange noch?« fragte sie.
    »Nicht mehr lange«, antwortete Poppy.
    Wieder nickte Teresa. Jetzt wunderten sie die Schmerzen am Handgelenk nicht mehr. Sie erinnerte sich nun deutlich daran, wie sie sich die Pulsadern aufgeschnitten hatte. Ihre Übelkeit mußte bedeuten, daß ihr Herz kein Blut mehr zum Pumpen hatte. »Wer seid ihr beiden?«
    »Mein Name ist Candy«, sagte Poppy. »Er da ist John.« Sie zuckte mit den Schultern. »Manchmal nenne ich ihn Jack.«
    »Ihr beide seid tot?« fragte Teresa.
    »Ja«, sagte Poppy.
    Teresa mußte husten. »Warum seid ihr hier?«
    »Um Spaß zu haben und um Profit zu machen«, sagte Free.
    »Er war hier, um dich in Versuchung zu führen«, sagte Poppy. »Zumindest denkt er das. Ich war hier, um dir zu helfen, falls du meine Hilfe gewollt hättest.« Poppy schüttelte den Kopf. »Du wolltest sie nicht.«
    Teresa nickte. »Wie hättest du mir helfen können – nach dem, was ich getan habe?«
    »Bardos ist das Reich zwischen den Lebenden und den Toten«, erklärte Poppy. »Hin und wieder bekommt ein Sterbender die Möglichkeit, sich zu entscheiden, wohin er geht – oder ob er überhaupt irgendwo hingeht.«
    »Und ich habe das Falsche getan«, flüsterte Teresa.
    »Du hast der armen Krankenschwester die Kehle auf schlitzt«, mischte sich Free ein.
    »Halt die Klappe«, fauchte Poppy ihn an. Zu Teresa gewandt: »Es geht weniger darum, was du getan hast. Es geht um dein Inneres. Du hast der Wahrheit nicht ins Gesicht gesehen.«
    »Du hast nur gelogen«, meldete sich Free wieder zu Wort. Er breitete den Plastiksack aus und klappte ihn der Mitte des Wohnzimmers auf, als wollte er ein Zelt bauen. »Du hast nie mit Bill geschlafen. Er wollte dich nicht. Er wollte Rene, und das hast du nicht ertragen. So einfach ist das.«
    Poppy erhob sich gemächlich. Sie ging auf Free zu, der sie nur anstarrte und wartete, was sie als nächstes tun würde. Plötzlich lag wilde Leidenschaft in Poppys sonst so kühlen Zügen. Sie hob einen Arm und zeigte auf ihn.
    »Du wagst es, Teresa eine Lügnerin zu schimpfen? schnaubte sie. »Nach all den Lügen, die du heute nacht erzählt hast? Du bist ein elender Heuchler.«
    Free tat überrascht. »Welche Lügen?«
    Poppy war ungehalten. »Über John.«
    Free ließ den Plastiksack fallen. »Ich hab's so erzählt, wie es gewesen ist. Ich akzeptiere, was ich getan habe, das Gute und das Schlechte. Ich hab' nie versucht, einen Heiligen aus mir zu machen, so wie du, Poppy. Candy war nichts weiter als eine faule Kuh mit der Loyalität eines Politikers. Die ganze Zeit hast du davon geplappert, wie sehr sie John in all den Jahren gesucht hätte. Wenn das stimmt, wieso hat sie ihn dann nicht gefunden?«
    »Wo hätte sie denn suchen sollen?« wollte Poppy wissen. »Sie hatte keine Anhaltspunkte – John hatte alle Spuren sorgfältig verwischt. Immerhin war John derjenige, der vor ihr weggerannt ist, nicht umgekehrt. Und wieso? Weil es ihm peinlich war, daß er Mist gebaut hatte.«
    »Er hat keinen Mist gebaut! Er wollte ihr nur helfen, diesen blöden Test zu bestehen.«
    »John hätte den Lehrer nicht schlagen müssen«, sagte Poppy. »Und obwohl er es getan hat, obwohl er ins Gefängnis kam, war das noch lange nicht das Ende der Welt. John hätte Candy in Berkeley anrufen können, als er wieder draußen war. Sie hätten sich schon etwas einfallen
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