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Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser

Titel: Eine kurze Weltgeschichte fuer junge Leser
Autoren: Ernst H. Gombrich
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unserem Erdball, aber jetzt sind es schon mehr als
zweimal so viele. Mit so großen Zahlen kann man nicht viel anfangen, denn man
kann sie sich nicht vorstellen. Erinnern wir uns aber daran, dass der Umfang
der Erde am Äquator ziemlich genau 40 Millionen Meter misst. Wenn Leute
irgendwo vor einem Schalter Schlange stehen, so stehen vielleicht zwei von
ihnen pro Meter. Das heißt, dass eine Schlange von 80 Millionen geduldigen
Wartenden schon um den ganzen Erdkreis gehen würde. Schon damals also hätte
sich die Schlange ungefähr 22-mal um die Erde gewunden, aber heute würden
unsere 4500 Millionen Mitmenschen schon eine Schlange bilden, die mehr als
50-mal um die Erde reicht!
    Dazu kommt noch, dass in den Jahren, in denen sich die Zahl der
Menschen so ungeheuer vermehrt hat, der Erdball, auf dem wir alle wohnen, sich
ebenso unmerklich immer mehr verkleinert hat. Natürlich nicht wirklich
verkleinert, aber die Technik, vor allem die Technik des Fliegens, hat die
Entfernung zwischen den Erdteilen immer mehr vermindert. Auch das habe ich
selbst miterlebt: Wenn ich an einem Flugplatz bin, wo der Lautsprecher
hintereinander einen Flug nach Delhi, New York, Hongkong oder Sydney ansagt,
und die wimmelnden Menschenmengen sehe, die sich zum Abflug bereit machen, muss
ich oft an meine Jugend zurückdenken. Damals hat man auf jemanden gezeigt und
gesagt: »Der war in Amerika«, oder gar: »Der war in Indien.«
    Heute gibt es nur wenige Orte auf der Welt, die man nicht in wenigen
Stunden erreichen kann. Aber auch wenn wir nicht selbst in die fernen Länder
fahren, sind sie uns doch näher gerückt, als sie es noch in meiner Jugend
waren. Wenn irgendwo auf der Welt etwas Wichtiges geschieht, so lesen wir es am
nächsten Tag in der Zeitung, hören es im Radio oder sehen es in den Nachrichten
im Fernsehen. Die Einwohner des alten Mexiko wussten bestimmt nichts davon,
dass Jerusalem zerstört wurde, und in China hat man wahrscheinlich nichts von
den Folgen des Dreißigjährigen Krieges gehört. Das war schon zur Zeit des
Ersten Weltkrieges anders. Man nennt ihn ja eben einen Weltkrieg, weil so viele
Staaten und Völker in die Kämpfe hineingezogen wurden.
    Freilich will das nicht besagen, dass all die Nachrichten, die uns
jetzt von überall erreichen, auch wahr sind. Und auch ich habe es erlebt, dass
ich nicht alles hätte glauben sollen, was ich in der Zeitung las. Ein solches Beispiel
will ich erwähnen: Gerade weil es mir bewusst war, dass ich den Ersten
Weltkrieg schon selbst erlebt habe, war ich überzeugt, dass ich alles glauben
konnte, was mir damals erzählt wurde. Darum ist das vorige Kapitel »Um die
Verteilung der Erde« leider nicht ganz so unparteiisch ausgefallen, wie ich das
gewiss wollte. Besonders was ich da abschließend von der Rolle des
amerikanischen Präsidenten Wilson schrieb, hat sich nicht ganz so
abgespielt, wie ich es damals glaubte. Ich stellte die Sache so dar, als hätte
Wilson den Deutschen und den Österreichern Versprechungen gemacht, die dann
nicht gehalten wurden. Ich glaubte fest, mich richtig zu erinnern, denn ich war
ja damals schon am Leben, und ich schrieb später nur auf, was man eben allgemein
glaubte. Ich hätte es aber nachprüfen sollen, denn das soll besonders ein
Geschichtsschreiber in jedem Fall tun. Kurz gesagt stimmt es schon, dass
Präsident Wilson Anfang 1918 ein Friedensangebot machte, aber der springende
Punkt ist, dass Deutschland, Österreich und ihre Verbündeten damals noch
hofften, den Krieg gewinnen zu können, und darum seinen Appell ignorierten.
Erst als sie den Krieg nach weiteren zehn Monaten unter furchtbaren Opfern
verloren hatten, wollten sie sich auf das Angebot berufen, und da war es eben
zu spät.
    Wie wesentlich und bedauerlich mein Fehler war, lässt sich leicht
zeigen. Denn obwohl ich das damals nicht ahnte, machte es die allgemeine
Überzeugung unter den besiegten Völkern, sie seien durch einen Schwindel ins
Elend gestürzt worden, ehrgeizigen Hetzern besonders leicht, die Enttäuschung
in Wut und Rachedurst zu verwandeln. Ich nenne diese Hetzer gar nicht gerne
beim Namen, aber schließlich weiß ja wohl jeder, dass ich dabei vor allem an
Adolf Hitler denke. Hitler war im Ersten Weltkrieg Soldat gewesen, und auch er
blieb überzeugt, dass die deutsche Armee ohne diesen vermeintlichen Betrug nie
besiegt worden wäre. Nicht nur Wilson selbst, die ganze Propaganda der Feinde
habe schließlich die Deutschen und die Österreicher in der Heimat dazu bewogen,
die
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