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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Regelmäßigkeit, sowie er an der Reihe war. Die würdige Frau Brigitte hatte nun bereits ihren zweiten Mann
     und mußte, wenn sie ihre Pflicht und Schuldigkeit erfüllen wollte, wie es einer Tricasse zukam, ihrem zehn Jahre jüngeren
     Gemahl vorangehen, um einer neuen Tricasse Platz zu machen. Darauf hatte der ehrenwerthe Bürgermeister von jeher mit absoluter
     Sicherheit gerechnet, denn wer konnte ihmzumuthen, daß er der Erste sein solle, der sich gegen die Familiensatzungen von Alters her auflehnte!
    So sah es in diesem stillfriedlichen Hause aus, in dem keine Thüren knarrten, keine Fensterscheiben klirrten, keine Dielen
     ächzten, kein Kaminfeuer brummte, keine Wetterfahnen schrillten, keine Möbel knackten, keine Schlösser rasselten, und dessen
     Gäste nicht mehr Lärm machten, als ihr Schatten. Der göttliche Harpokrates hätte das Bürgermeisterhaus in Quiquendone zum
     Tempel des Schweigens geweiht.

Drittes Capitel,
in dem der Commissar Passauf einen ebenso unerwarteten als geräuschvollen Einzug hält.
    Als die interessante Unterhaltung zwischen Bürgermeister und Rath begann, war es drei Viertel auf drei Uhr Nachmittags gewesen.
     Um drei Uhr fünfundvierzig Minuten hatte Tricasse seine Pfeife, die ein volles Viertelpfund Tabak schluckte, angezündet, und
     um fünf Uhr fünfunddreißig Minuten hörte er auf zu rauchen.
    Während dieser ganzen Zeit wurde zwischen den beiden Rathsherren kein Wort gewechselt.
    Gegen sechs Uhr hub Herr Niklausse, der immer mittelst Figur der Prätermission oder Aposiopese vorzugehen pflegte, folgendermaßen
     an:
    »So entschließen wir uns also? ...
    – Nichts zu beschließen, fügte der Bürgermeister hinzu.
    – Ich glaube in Summa, daß Sie recht daran thun, van Tricasse.
    – Ich glaube das auch, Niklausse. Wir wollen in Bezug auf den Civilcommissar Beschluß fassen, wenn wir einmal besonders inspirirt
     sind ... später ... Wir haben noch über einen Monat Zeit.
    – Auch wohl noch ein Jahr«, meinte Niklausse, indem er sein Taschentuch entfaltete und sich desselben mit alleräußerster Discretion
     bediente.
    Wiederum breitete sich, etwa eine Stunde lang, neues Schweigen über die Berathenden, und nichts unterbrach diese neue Pause,
     nicht einmal das Erscheinen des ehrlichen Lento, des Haushundes, der nicht weniger phlegmatisch wie sein Herr, fein säuberlich
     und sittig durch den Saal schritt. Ein tugendhafter Hund, ein Muster für Alle seines Geschlechts. Wäre er aus Pappe verfertigt
     und mit Gummiröllchen an den Füßen versehen gewesen, er hätte während seines Besuchs nicht weniger Geräusch verursachen können.
    Gegen acht Uhr, als Lotchè die antike Lampe mit geschliffener Kuppel herein gebracht hatte, wandte sich der Bürgermeister
     von Neuem an den Rath.
    »Wir haben heute kein anderes, dringendes Geschäft zu erledigen, Niklausse?
    – Nein, van Tricasse, nicht daß ich wüßte.
    – Hat man mir nicht letzthin gesagt, daß der Thurm des Audenarder-Thors einzustürzen droht?
    – Allerdings, bestätigte der Rath; es dürfte uns nicht in Erstaunen setzen, wenn er eines schönen Tages den Vorübergehenden
     auf den Kopf fiele und sie zerschmetterte.
    – O! versetzte der Bürgermeister; ich hoffe doch, daß wir eine Entscheidung in Betreff des Thurmes getroffen haben, bis sich
     ein solches oder ähnliches Unglück ereignet.
    – Wir wollen es hoffen, van Tricasse.
    – Es sind jetzt noch dringendere Fragen zu lösen.
    – Allerdings, erwiderte der Rath; z. B. was die Lederhalle anbetrifft.
    – Brennt sie immer noch? fragte der Bürgermeister.
    – Ja, bereits seit drei Wochen.
    – Haben wir nicht im Rathe beschlossen, sie brennen zu lassen?
    – Ja, van Tricasse, und zwar auf Ihren Vorschlag.
    – War das nicht das sicherste und einfachste Mittel, der Feuersbrunst Herr zu werden?
    – Ohne alle Widerrede.
    – Warten wir das Weitere also ab. Das wäre Alles?
    – Ja«, antwortete der Rath und kraute an der Stirn, als wolle er sich vergewissern, daß er keine wichtige Angelegenheit vergessen
     habe.
    »Ah! meinte der Bürgermeister, haben Sie nicht auch von einer Wasserströmung reden hören, die das untere Viertel von Saint-Jacques
     zu überschwemmen droht?
    – O ja, erwiderte Rath Niklausse; es ist nur ärgerlich, daß sie sich nicht oberhalb der Lederhalle hinzieht; sie hätte dann
     auf natürliche Weise die Flammen gelöscht, und wir würden uns die bedeutenden Umstände und Kosten verschiedener Discussion
     haben sparen können.
    –
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