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Eine Idee des Doctor Ox

Eine Idee des Doctor Ox

Titel: Eine Idee des Doctor Ox
Autoren: ekz.bibliotheksservice GmbH
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Flamänder und Gui von Dampierre gegen
     den Kaiser Rudolf von Habsburg kämpften.
    Der beschriebene Saal bildete einen Theil des bürgermeisterlichen Hauses, eines der reizendsten Gebäude von Quiquendone; es
     war in echt flämischem Geschmack errichtet und mit all den malerischen und phantastischen Grillen und Ueberraschungen ausgestattet,
     welche die Spitzbogen-Architektur mit sich bringt. Wäre dies Haus ein Karthäuser-Kloster oder eine Taubstummenanstalt gewesen,
     so hätte es darin nicht ruhiger und stiller zugehen können; man wagte kaum aufzutreten und bewegte sich nur gleitend vorwärts;
     es wurde nicht laut gesprochen, sondern leise geflüstert, und doch fehlten dem Bürgermeisterhause nicht weibliche Bewohner,
     denn es beherbergte außer Frau Brigitte van Tricasse, der Frau des Herrn van Tricasse, die Tochter des würdigen Paares Suzel
     und ihre Magd Lotchè Janshéu. Auch müssen wir die Schwester des Bürgermeisters, Tante Hermance, eine alte Jungfer, anführen,
     die auf den Namen Tatanémance hörte, den ihr ihre Nichte Suzel, als diese noch ein kleines Mädchen war, beigelegt hatte. Trotz
     all dieser Elemente der Zwietracht, des Lärms und der Schwatzhaftigkeit war das Bürgermeisterhaus, wie schon erwähnt, so still
     und ruhig wie eine Wüste.
    Herr van Tricasse, ein Mann von fünfzig Jahren, war weder besonders stark noch mager, weder groß noch klein, weder alt noch
     jung, weder lebhaft geröthet noch auch blaß, weder fröhlich noch traurig, weder besonders zufrieden noch verdrießlich, weder
     sehr energisch noch weichherzig, weder stolz nochdemüthig, weder gut noch böse, weder freigebig noch geizig, weder tapfer noch feige, weder zu viel noch zu wenig – ne quid nimis , – gemäßigt und Maß haltend in Allem; aber jeder Physiognom hätte wohl sofort an der unveränderten Langsamkeit seiner Bewegungen,
     an der herabhängenden Unterlippe, den stets gleichmäßig gehobenen Augenlidern und an seiner Stirn, die ohne jede Runzel einer
     Metallplatte glich, erkannt, daß er in Herrn Tricasse das personificirte Phlegma vor sich sah. Nie hatte weder Zorn noch eine
     sonstige Bewegung seinen Herzschlag beschleunigt oder seine Wangen höher gefärbt; und nie zogen sich seine Pupillen unter
     dem Eindruck irgend einer noch so vorübergehenden Gereiztheit zusammen. Er war einmal wie immer in einen guten, weder zu weiten
     noch zu engen Rock gekleidet, und nie gelang es ihm, die Röcke abzutragen. Seine starken viereckigen Schuhe mit dreidoppelter
     Sohle und silbernen Schnallen brachten durch ihre Dauer die Schuhmacher zur Verzweiflung, und sein großer Hut datirte noch
     aus der Zeit, als Flandern sich entschieden von Holland absonderte, und bekundete somit das ehrwürdige Alter von vierzig Jahren.
     Doch das Alles war wohl erklärlich; die Leidenschaften nutzen ebenso die Seele wie den Körper und mit ihm natürlich die Kleider
     ab, und unser würdiger Bürgermeister war nicht leidenschaftlich und ruinirte in Folge dessen weder sich noch seine Sachen.
     Aller dieser Eigenschaften wegen eignete aber auch gerade er sich dazu, Quiquendone und seine ruheliebenden Einwohner zu regieren.
    Wirklich war die Stadt fast ebenso still wie das Haus, in welchem der Bürgermeister das weitmöglichste Lebensziel menschlichen
     Daseins zu erreichenhoffte; mußte er doch noch erleben, daß die gute Frau Brigitte van Tricasse, seine Gemahlin, ihm in das Grab voranging, wo
     sie doch kaum eine tiefere Ruhe finden konnte, als die sie seit sechzig Jahren hier auf Erden genoß.
    Vorstehendes verlangt eine Erklärung.
    Die Familie van Tricasse hätte sich mit Fug und Recht »Familie Jeannot« nennen können, und das hing so zusammen.
    Bekanntlich ist das Messer dieser typischen Persönlichkeit ebenso wenig abzunutzen wie sein Eigenthümer, was darin seinen
     Grund hat, daß einmal der Stiel und dann wieder die Klinge erneuert wird. Eine ähnliche Operation vollzog sich seit undenklicher
     Zeit, ja, schon seit dem vierzehnten Jahrhundert in der Familie Tricasse, und was noch wunderbarer war, Mutter Natur gab sich
     mit ungewöhnlicher Gefälligkeit immer wieder dazu her, die Sache zu begünstigen. Wenn ein Tricasse Witwer wurde, heiratete
     er eine van Tricasse, die jünger war als er; und wenn diese dann verwitwet war, verband sie sich mit einem van Tricasse, welcher
     abermals jünger war als sie, und der wiederum, wenn seine Frau starb ... u. s. w. mit Grazie in infinitum; jeder starb mit
     fast mechanischer
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