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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Autoren: Victoria Hislop
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die Machthaber noch abgrundtiefer verachtete.
    Der Briefwechsel ging sehr schleppend vonstatten, und da keiner von ihnen die Wahrheit erwähnen durfte, konnten sie sich die wesentlichen Dinge nicht mitteilen. Ein paar Monate später kamen die Briefe nicht mehr aus Makronisos.
    Wir sind nach Gyaros verlegt worden, eine kleinere Insel ein paar Kilometer von Makronisos entfernt. Sonst gibt es wenig zu berichten. Die Verhältnisse sind genauso wie auf der vorherigen Insel. Gefangene und Wachen sind die einzigen Bewohner.
    Als Theodoris fast zwei Jahre alt war, nahm Katerina ihre frühere Arbeit als modistra wieder auf. Sie besuchte ihre Kun den nachmittags zu Anproben, und Eugenia passte währenddessen auf das Kind auf. Eine kleine Anzeige hatte genügt, um ihre alten Kunden wiederzubekommen, und schon bald stand Katerina wieder im Ruf, die beste Schneiderin in Thessaloniki zu sein.
    Â»Warum benutzt du nicht mein ehemaliges Haus als Werk statt?«, schlug Olga vor, deren Haus in der Irinistraße seit Jahren leer stand. »In deinem hast du doch nicht mal genügend Platz zum Zuschneiden.«
    Olga hatte recht. Mit Theodoris und Eugenias Webstuhl war es sehr beengt in dem kleinen Haus, und ihre Nähmaschine fand auf dem Küchentisch kaum Platz.
    An einem warmen Spätsommertag des Jahres 1952 brachte Pavlina den Schlüssel. Gemeinsam säuberten sie Olgas kleines Haus, rückten Möbel und schafften Raum für Katerinas neue Schneiderwerkstatt.
    Â»Wie geht es Kyria Komninou?«, erkundigte sich Katerina.
    Â»Es geht ihr gut, danke. Aber Konstantinos Komninos fühlt sich nicht wohl.«
    Katerina konnte keine Anteilnahme vortäuschen. Es wäre ihr verlogen vorgekommen.
    Â»Kyria Komninou hat gesagt, es sei lächerlich für jemanden in seinem Alter, noch so schwer zu arbeiten. Er ist inzwischen achtzig, weißt du, sieht aber aus wie hundert! Es sei ja nicht seine Schuld, dass keiner da ist, um das Geschäft zu übernehmen, hat er darauf erwidert. Am liebsten hätte ich ihm gesagt, es ist doch deine Schuld, dass Dimitri fort ist, aber ich hab meinen Mund gehalten. Trotzdem, der Mann übernimmt sich und schuftet sich noch zu Tode. Er sieht wirklich grauenhaft aus. Leichenblass und dünn wie ein Bleistift. Du würdest ihn nicht mehr wiedererkennen.«
    Katerina schwieg.

29
    Z wei Wochen später erlitt Konstantinos Komninos einen Schlaganfall an seinem Schreibtisch und war sofort tot.
    Es fand eine prunkvolle Beerdigung statt, für die er in seinem Testament genaue Anweisungen gegeben hatte. Fünfzig Kränze mit weißen Nelken waren vor der Kirche von Agios Dimitri aufgereiht, und vom Bürgermeister, den Stadträten, wichtigen Geschäftsleuten und vielen anderen Persönlichkeiten der Stadt trafen Kondolenzschreiben ein. Nach einem Trauergottesdienst mit viel Pomp und Feierlichkeit wurde er auf dem städtischen Friedhof neben seinem Vater und seinem Bruder in der Familiengruft beigesetzt.
    Â»Ich dachte, Kyria Komninou würde nur zu ihrer eigenen Beerdigung das Haus verlassen, aber weißt du was? Sie war tatsächlich bei der Beisetzung ihres Ehemanns. Nach allem, was passiert ist, dachte ich immer, sie würde zuerst sterben«, sprudelte Pavlina hervor, »aber irgendwas hat ihr Kraft gegeben, durchzuhalten. Und was das war, brauche ich dir sicher nicht zu sagen?«
    Katerina nickte. Sie wusste, wie sehr Olga ihren Sohn und jetzt auch ihren kleinen Enkel liebte.
    Auf Gyaros erhielt Dimitri einen Brief von seiner Mutter, in dem sie ihm mitteilte, dass sein Vater gestorben sei. Eine Weile saß er still da und starrte auf das Schreiben. Diese gottverdammte Insel zu verlassen wäre wahrhaft eine Erleichterung, aber im Moment verspürte er eine noch viel größere. Denn der jahrelange Hass auf seinen Vater, der wie ein Mühlstein auf ihm gelastet hatte, fiel von ihm ab.
    Die Entscheidung, den Widerruf zu unterschreiben, fiel ihm furchtbar schwer. An seiner Meinung, dass die Demokratische Armee für die richtige Sache gekämpft hatte, würde sich nichts ändern, aber der Drang, wieder mit den Men schen vereint zu sein, die er liebte, überwog jetzt alles andere.
    Obwohl bereits Tausende unterschrieben hatten, waren die Wachen überrascht, dass sich gerade Dimitri mit einem Mal freiwillig dazu bereit erklärte.
    Als er nach der Feder griff, um die Erklärung zu unterschreiben, glaubte er, seine Hand gehöre nicht
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