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Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Eine Geschichte von Liebe und Feuer

Titel: Eine Geschichte von Liebe und Feuer
Autoren: Victoria Hislop
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Zeit habe ich mich nur danach gesehnt, dass der Horror endlich ein Ende nimmt und ich in diese Stadt zurückkehren und deine Großmutter heiraten kann.«
    Mitsos saß ruhig da und hörte gespannt zu, mit welcher Liebe und Leidenschaft die beiden von ihrer Heimatstadt sprachen.
    Â»Jetzt begreifst du, Mitsos, dass all unsere Erfahrungen hier ihre Wurzeln haben. Wir könnten anderswo hingehen, und die Erinnerungen würden in uns weiterleben, aber hier, an dem Ort, wo alles geschehen ist, sind sie viel lebendiger.«
    Â»Wir könnten natürlich auch in London oder in Boston Kerzen anzünden für diejenigen, die uns lieb und teuer waren«, fügte sein Großvater hinzu, »aber es wäre nicht dasselbe.«
    Jedes Mal, wenn Mitsos seine Großeltern besuchte, begleitete er sie zum Friedhof, wo er seine Großmutter bei der Pflege des Familiengrabs beobachtete. Er wusste, dass sie jede Woche dort hinging, frische Blumen niederlegte, die Umgebung der Gräber kehrte und darauf achtete, dass die Öllampen brannten. Über all dem wachte eine Statue von Olga. Ein Jahr nach ihrem Tod hatten seine Großeltern den besten Bildhauer der Stadt damit beauftragt, und die sitzende Figur mit den langen Gliedmaßen und dem milden Gesichtsausdruck war der realen Olga verblüffend ähnlich.
    Mitsos erinnerte sich plötzlich an die Worte des blinden Mannes. Die Vorstellung, dass alle Menschen, die je in Thessaloniki gelebt hatten, hier einen Teil von sich zurückließen, erschien ihm plötzlich sehr einleuchtend.
    Â»Aber außer den Erinnerungen bewahren wir auch noch etwas anderes von unseren Freunden auf. Sie haben uns nämlich ein paar Schätze hinterlassen.«
    In einer Ecke des Wohnzimmers, mit einem weißen, spitzenbesetzten Tuch bedeckt, stand eine hölzerne Truhe. Katerina stellte vorsichtig eine Vase mit künstlichen Blumen und die gerahmten Familienfotos zur Seite, nahm das Tuch ab und faltete es zusammen. Dann hob sie den Deckel.
    Â»Das ist ein weiterer Grund, warum wir bleiben«, sagte sie. »Diese Dinge gehören uns nicht, und selbst wenn ihre Besitzer nie mehr zurückkehren werden, erscheint es nicht richtig, sie von hier wegzubringen. Wir sind schließlich nur die Verwahrer.«
    Sie nahm den bestickten Seidenquilt heraus, in den der antike Gebetsschal eingenäht war, ein paar kleine Kissen und zwei Bücher. Auch die Ikone des heiligen Andreas lag darin, die den weiten Weg vom Schwarzen Meer bis an diesen Ort überstanden hatte. Nach Eugenias Tod hatte Katerina auch sie in ein Stück Seide gewickelt und zur Sicherheit in die Truhe gelegt.
    Â»Wir bringen den Quilt ins Archiv des Jüdischen Museums in der Agios-Menas-Straße«, sagte Dimitri. »Sie haben sich sehr gefreut, als sie hörten, was wir da haben.«
    Â»Aber die Kissen will ich behalten«, sagte Katerina. »Für den Fall, dass die Familien doch noch zurückkommen. Zumindest Elias könnte eines Tages zurückkehren. Und da sind der Brief der muslimischen Familie an uns und die zwei Bücher.«
    Â»Da ist noch etwas auf dem Boden der Truhe«, sagte Mitsos und nahm ein ausgefranstes und ziemlich fleckiges Stück Stoff heraus. »Das sieht nicht unbedingt nach einem ›Schatz‹ aus, außer dieser Knopf ist aus reinem Silber!«
    Â»Nun, das ist leicht möglich«, erwiderte Katerina. »Aber nicht deshalb ist es wertvoll für mich. Sondern weil mir dieses Stück Ärmel wahrscheinlich das Leben gerettet hat und mich immer an die größte Liebestat erinnert, die je ein Mensch für mich geleistet hat.«
    Unbewusst berührte sie ihren Arm. Mitsos dachte selten daran, dass der Arm seiner Großmutter schlimm vernarbt war, weil sie meist eine Wolljacke trug, aber die hatte sie nun wegen der Hitze im Raum abgelegt.
    Â»Und was am wichtigsten ist, ich habe versprochen, darauf aufzupassen, um ihn dem Soldaten zurückzugeben, der mich gerettet hat.«
    Sie lächelte.
    Es war jetzt gegen halb elf Uhr abends, aber noch immer sehr heiß in der Wohnung. Mitsos’ Großmutter schenkte ihm ein Glas Wasser ein, und als er sie ansah, stellte er sich das kleine Mädchen vor, das sich zur Abfahrt aus Smyrna bereit machte. Auch wenn er jetzt verstand, weshalb sie in dieser Stadt bleiben wollten, so blieb doch eine Frage noch offen. Er blickte auf die kostbaren Gegenstände auf dem Tisch und dann auf seine gebrechlichen
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