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Eine Geschichte aus zwei Städten

Eine Geschichte aus zwei Städten

Titel: Eine Geschichte aus zwei Städten
Autoren: Charles Dickens
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Wagen mit Muße geplündert werden. Der Lord-Mayor von London, diese hochmächtige Person, mußte auf dem Turnhamer Rasen einem einzelnen Straßenräuber stillhalten und angesichts seines Gefolges seinen werten Leib von dem Galgenstrick ausplündern lassen. Gefangene in den Londoner Gefängnissen lieferten ihren Schließern förmliche Schlachten, und die Majestät des Gesetzes ließ sie mit Musketensalven zu Paaren treiben. In den Salons des Hofes stibitzten Diebe den vornehmen Herren Diamantenkreuze von den Hälsen weg. Musketiere zogen nach Saint Giles, um auf Schleichwaren zu fahnden, und wurden von einem Pöbelhaufen, den sie ihrerseits in gleicher Weise bearbeiteten, mit Schüssen empfangen. Das waren lauter Dinge, die man für nichts Außerordentliches ansah. Dabei hatte der Henker alle Hände voll zu tun, indem er das eine Mal die unterschiedlichen Verbrecher in langen Reihen aufknüpfte, ein ander Mal sein Amt samstags an einem einzelnen Hauseinbrecher übte, der am Dienstag ergriffen worden war, heute in Newgate dutzendweise Leuten ein Brandmal in die Hand ein
drückte, morgen vor dem Tor von Westminsterhall Flugschriften den Flammen übergab und dann wieder einen grausamen Mörder und einen armen Strauchdieb, der einem Bauernbuben ein Sechspencestück abgejagt hatte, vom Leben zum Tod brachte.
    Alles dies und noch tausend ähnliche Dinge geschahen, begannen und endigten in dem lieben alten Jahr eintausendsiebenhundertfünfundsiebzig. Und auf dem Schauplatz dieser Ereignisse traten, während der Holzhauer und der Bauer unbeachtet fortarbeiteten, jene beiden mächtigen Mundwerke und jenes Paar glatter und hübscher Frauengesichter geräuschvoll genug auf und behaupteten ihre göttlichen Rechte mit gewaltiger Hand. So führte das Jahr eintausendsiebenhundertfünfundsiebzig ihre Majestäten sowohl wie die Myriaden kleiner Wesen, darunter auch die Personen unserer Geschichte, dahin auf den vor ihnen liegenden Pfaden.
    Zweites Kapitel
    Der Postwagen
    Es war die Straße nach Dover, die an einem Freitag im November abends spät vor der ersten der Personen lag, mit denen unsere Erzählung zu schaffen hat, und auf derselben Straße rumpelte auch die Postkutsche von Dover Shooters Hill hinan. Die Person stapfte gleich den übrigen Fahrgästen neben dem Wagen im Straßenschmutz bergan – nicht weil den Umständen nach ein Spaziergang besonderes Vergnügen gewährte, sondern weil die Steigung so stark, das Pferdegeschirr so lästig, der Schlamm so tief und die Kutsche so schwer war, daß die Rosse schon dreimal hatten halten müssen und außerdem ein
mal sogar die meuterische Absicht verraten hatten, mit Sack und Pack wieder nach Blackheath umzukehren. Aber Zügel und Peitsche und Postknecht und Kondukteur kannten den Kriegsartikel, der ein solches Unternehmen verbot, mochte es auch noch so sehr zugunsten der Annahme sprechen, daß manche Tiere Vernunft im Leibe haben. So hatte das Gespann nachgeben müssen und war zu seiner Pflicht zurückgekehrt.
    Mit gesenkten Köpfen und zitternden Schweifen arbeiteten sich die Pferde durch den tiefen Schmutz, indem sie zwischenhinein stolperten und strauchelten, als wollte bei ihnen alles aus den Gelenken gehen. Sooft der Kutscher sie mit einem behutsamen ›Brrr!‹ haltmachen ließ, schüttelte das hintere Handpferd ungestüm den Kopf und damit zugleich das Geschirr, als wollte es mit besonderem Nachdruck andeuten, daß die Kutsche da nicht hinaufzubringen sei. Und wenn das Pferd in solcher Weise rasselte, fuhr der Fahrgast, wie ängstliche Reisende zu tun pflegen, zusammen und zeigte sich sehr beunruhigt.
    Auf allen Taleinschnitten lag ein brauender Nebel, der sich in seiner Trübseligkeit bergan wälzte wie ein böser Geist, der Ruhe sucht, ohne sie finden zu können. Er war feucht und ungemein kalt und bewegte sich in langsam aufeinanderfolgenden kleinen Wellenzügen, denen einer fauligen See nicht unähnlich, durch die Luft. Sein Gewölk ließ das Licht der Kutschenlaternen nur auf ein paar Schritte unterscheiden, und der Dampf der sich abmühenden Pferde ging darin auf, so daß man meinen konnte, die abgehetzten Tiere seien die Quelle des ganzen Nebelmeers.
    Außer dem gedachten Reisenden schritten noch zwei andere neben der Kutsche her. Alle drei waren bis über die Ohren verhüllt und trugen Stulpenstiefel. Keiner davon hätte nach dem Augenschein sich ein Urteil über das Aussehen des andern bilden können, und die Gedanken eines jeden waren ge
gen die der Mitreisenden
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