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Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Eine Frau flieht vor einer Nachricht

Titel: Eine Frau flieht vor einer Nachricht
Autoren: David Grossman
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Bewegung entfernt sich Ora von ihm und von der Hündin, wendet ihnen den Rücken zu. Sie umarmt ihren Körper, wiegt sich schnell vor und zurück. Hör auf damit, befiehlt sie sich, was greifst du ihn an, was schuldet er dir? Aber sie kann sich nicht stoppen, vor und zurück, vor und zurück wiegt sie sich, genießt es, den glühenden Faden ihrer Wut immer weiter aus ihrem Innern herauszuziehen und sich rundum so lange aufzuribbeln, bis sie ganz verschwunden sein wird, das wäre das Beste. Die arme Neta, »aber zum Schluss war es dann doch nichts, wie immer bei mir, falscher Alarm«, plötzlich weiß Ora, wie Avram und Neta sich anhören, wenn sie miteinander reden, sie kennt ihre gemeinsame Melodie, die feinen Bewegungen ihres Spiels. Genauso, wie er früher mit Ilan gefochten hat, genauso, wie Ilan bis heute mit den Jungs ficht, mit diesem Witz und einer Blitzesschnelle, zu der Ora nicht mehr in der Lage ist und zu der sie im Grunde niemals fähig war. »Doch nichts«, hatte Neta gekichert, »falscher Alarm«, ob er überhaupt kapiert, wie sehr sie ihn liebt und wie sie leidet?
    Er brummt: Ich versteh noch nicht, warum du so sauer bist.
    Sauer? Sie wirft den Kopf zurück, und ein giftiges Grinsen breitet sich aus, wieso denn sauer? Worüber sollte ich sauer sein? Im Gegenteil, ich sollte mich freuen, nicht wahr?
    Worüber?
    Über die theoretische Möglichkeit, erklärt sie mit ernstem Gesicht und einer unpassenden Sachlichkeit: dass du vielleicht einmal ein Kind haben wirst, das ganz bei dir ist.
    Ich habe kein Kind, sagt er völlig ernst, außer Ofer habe ich kein Kind.
    Aber vielleicht kriegst du noch eins, warum nicht, ihr Männer könnt ja länger. Sie verstummt, für einen Moment scheint sie ihre Gefühle wiederzufinden und will sich in seine Arme werfen, um sich für den Wahnsinn, der sie gepackt hat, zu entschuldigen, für die Missgunst, die Enge ihrer Seele, für ihr dummes Gekränktsein. Denn mehr als alles andere will sie ihm sagen, wie gut es wäre, wenn er ein Kind hätte, was für einen wunderbaren Vater es haben würde, aber dann spürt sie noch einen Schmerz, die Glut eines zweischneidigen Schwertes, und sie springt auf und stellt sich über ihn, selbst völlig überrascht: Vielleicht würde es ja ein Mädchen, Avram, du könntest ein Mädchen bekommen.
    Aber wovon redest du? Er erhebt sich und steht ihr gegenüber: Neta hat doch gesagt, dass nicht, dass sie das nur gedacht hat. Er streckt die Arme aus, um Ora an sich zu ziehen, doch sie zerrinnt zwischen seinen Händen und sammelt sich in einer großen Kuhle im Fels und bleibt in sich zusammengerollt liegen. Sie presst sich die Hände auf den Mund, als müsste sie einen Schrei ersticken.
    Komm, lass uns weitergehen. Er hockt neben ihr, sein Sprechen ist artikuliert und sicher: Wir gehen bis zu dir nach Hause, bis dahin, wo du mich bei dir haben willst. Nichts hat sich verändert, Ora, komm, steh schon auf.
    Wozu, fragt sie hilflos.
    Was wozu?
    Sie schaut ihn mit aufgerissenen Augen an: Aber du wirst ein Mädchen haben.
    Es gibt kein Mädchen, sagt er verärgert, was ist denn mit dir los?
    Ich kapiere plötzlich, es ist auf einmal so greifbar.
    Ich habe nur Ofer, wiederholt Avram hartnäckig, hör zu: Du und ich, wir beide haben Ofer.
    Wie kannst du denn Ofer haben, lächelt sie in ihre Handflächen, und ihre Augen irren durch die Luft, du kennst ihn nicht, du hast ihnnoch nichtmal sehen wollen, wer ist Ofer denn für dich? Ofer, das sind für dich nur Wörter.
    Nein, nein! In seiner Not schüttelt er sie, und ihr Kopf fällt vor und zurück. Du weißt, das ist nicht mehr so.
    Aber ich hab dir doch nur Wörter gesagt.
    Sag mal, hast du nicht zufällig …
    Was?
    Ein Bild von ihm hier?
    Sie schaut ihn einen langen Moment an, als verstehe sie die Bedeutung seiner Worte nicht. Danach dreht sie sich zu ihrem Rucksack, kramt und zieht einen kleinen braunen Geldbeutel heraus. Sie macht ihn auf, ohne hinzuschauen, und streckt ihn Avram hin. In einem Plastiktäschchen das Bild von zwei jungen Männern, die sich umarmen. Aufgenommen an dem Morgen, als Adam eingezogen wurde. Beide langhaarig, Ofer, jung und schmal, schmiegt sich an seinen großen Bruder, umarmt ihn mit Armen und Blicken. Avram betrachtet sie. Ora hat den Eindruck, dass seine Gesichtszüge aus den Fugen geraten.
    Avram, sagt sie leise und legt ihre Hand auf seine Hand, die das Bild hält, gibt ihm Halt.
    So ein schöner Junge, flüstert Avram.
    Ora schließt die Augen. Auf beiden Seiten der
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