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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein
Autoren: Cate Tiernan
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wegschicken, sollte sie um meine Sicherheit fürchten. Ich versuchte, mich zu entspannen, während wir uns alle an den Händen fassten.
    Marcel sah mich immerzu an, was mich irritierte. Sein Blick lastete schwer auf mir. Ganz anders Richard, der auf der gegenüberliegenden Seite des Kreises stand und leise mit Claire sprach. Er lachte, Claire kicherte und schwang seine Hand in ihrer hin und her.
    Wir fingen an, dalmonde, im Kreis, zu laufen, und Melita begann mit ihrem Gesang. Wieder wanderte mein Blick zu Maman, die ihre Augen noch immer fest auf meine Schwester gerichtet hatte. Ich erkannte das Lied nicht. Ich hatte es noch nie zuvor gehört, und es stimmte nicht mit den Gesängen überein, mit denen wir normalerweise arbeiteten. Melitas Stimme wurde lauter und lauter, schien meine Brust ganz auszufüllen. Sehr seltsam, gar nicht wie bei anderen Zirkelsitzungen.
    Es begann zu regnen. Kühle Tropfen drangen bis auf die nackte Haut meiner Schultern und meiner Bauchdecke durch. Ich hatte das undeutliche Verlangen aufzuhören, loszulassen, doch sobald mir der Gedanke in den Sinn kam, war er auch schon wieder verschwunden, und Melitas Gesang erfüllte mich von Neuem.
    Als wir schneller liefen, flog mein Hut davon. Ich kam mir unbeholfen vor, unausgeglichen, und hatte Angst zu fallen, doch Jules’ und Ouidas Hände hielten mich aufrecht. Dann schnürte sich mir plötzlich die Kehle zu. Magie, riesig, mächtig und schwer, stieg aus dem Untergrund auf, als wolle sie mich verschlingen. Natürlich hatte ich Magie zuvor schon gefühlt. Doch dies übertraf sogar alles, was jemals in meinen heftigsten Träumen geschehen war. Es war überwältigend, eine riesige Woge aus Erde, Luft, Wasser und Feuer – alles zugleich. Keuchend rang ich nach Atem. Jetzt hatte ich wirklich Angst. Doch noch immer umkreisten wir die zischenden Kerzen und wie aus einer anderen Sphäre erfüllte Melitas Stimme die Luft.
    Es regnete in Strömen auf uns hernieder. Die Gesichter der anderen verschwammen, wurden zu verwischten Bildern, die an mir vorbeiflogen. Auf allen, bis auf dem von Melita, zeichnete sich Furcht ab, auf einigen auch Wut. Ein Donner walzte durch uns hindurch, so gewaltig, dass er die Erde zum Beben brachte. Wieder und wieder wurde der Himmel von aufzuckenden Blitzen erleuchtet und verwandelte uns in scharfkantige tintenblaue Silhouetten. Ich ertrank in der Magie, verfing mich in ihr wie in einem Spinnennetz, wie an klebrigem Pech. Ich schüttelte meine Hände, um sie freizubekommen, doch vergebens.
    »Meli…«, schrie ich, doch genau in diesem Moment schien die Welt unterzugehen. Plötzlich gab es einen kanonenartigen Donnerschlag und gleichzeitig einen gespenstischen Blitz. Der Blitz traf Melita. Ich schrie, als ich sah, wie ihr dunkles Haar um ihr ekstatisches Gesicht herumwirbelte. Im nächsten Moment traf mich der Blitz, implodierte in mir, versengte meine Hand, schoss durch die von Jules und in die von Ouida. Wir alle heulten auf und ich hörte meine eigenen Schreie.
    Ein quälender, unerträglicher Schmerz breitete sich in meinem Bauch aus. Unsere Hände wurden mit einem Ruck auseinandergesprengt und ich fiel zu Boden. Mein Bauch fühlte sich an, als habe jemand eine Axt hineingeschlagen. Nach Luft ringend rollte ich mich zusammen.
    »Maman!«, rief ich schluchzend. Ich hielt mir den Bauch, wie um zu verhindern, dass mein Inneres nach außen quoll, doch der Schmerz war zu überwältigend, als dass meine Hände ihn hätten zurückhalten können, zu schrecklich, um ihn zu ertragen.
    Die anderen hatten sich um mich geschart: Richard, Ouida und endlich auch Maman, die sich eilig auf den regendurchtränkten, schlammigen Untergrund kniete. Sie strich mir das Haar aus der Stirn, während ihre Lippen bereits magische Gesänge bildeten. Ihre Hand hatte meine umklammert und ich hielt mich an ihr fest.
    »Was passiert mit mir?«, schrie ich verzweifelt. Ich sah nichts als Mamans entschlossenes Gesicht, doch sie murmelte nur immer weitere Zaubersprüche, ohne mir zu antworten.
    Eine neue, alles übertönende Welle des Schmerzes brandete in mir auf. Schluchzend schloss ich die Augen und versuchte, sie durchzustehen. Ich spürte, wie unter meinem Rock ein Schwall Flüssigkeit aus mir herausbrach. Energisch schob mir Maman den Rock hoch. Regen fiel auf meine nackten Beine. Richard griff nach meiner anderen Hand. Ich drückte sie mir gegen die Wange, beschämt, dass ich weinte und so schwach wirkte. Doch ich hatte zu starke Schmerzen und zu
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