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Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn

Titel: Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
Autoren: Y Lee
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spät für die nächtlichen Wachleute. Der Eingang zur Baustelle lag etwas abseits; nur kein gefährliches Vermischen von Adel und Arbeitern.
    Sie musste innehalten und sich ins Gedächtnis rufen, dass sie nicht sie selbst war. Auch wenn sie wie ein zwölfjähriger Junge aussah, fühlte sie sich nicht wirklich so. Die Trainingsstunde mit Felicity am gestrigen Abend   – bei einem Glas Bier und einer kalten Fleischpastete auf die Hand in einem Pub   – war ziemlich nützlich gewesen. Aber sie hatte ihr auch eindringlich vor Augen geführt, wie vollkommen anders die Welt der Männer war. Die Jahre in einem reinen Mädcheninternat hatten sie verändert. Hinter dem Bauzaun würden Horden von Männern und Jungen sein, die brüllten und fluchten und all das taten, was Bauarbeiter so taten, und sie würden sie prüfend beobachten und sofort merken, wenn irgendetwasnicht stimmte. Natürlich war es viel zu spät, um kehrtzumachen. Mary holte tief Luft, wischte sich die feuchten Handflächen an ihrer Hose ab und marschierte durch den schmalen Eingang auf die eigentliche Baustelle.
    Sie hatte sich auf einen Schwall von Lärm vorbereitet, aber die Baustelle war eher ruhiger als die Straße. Kleine Gruppen von Männern plauderten, während sie ihr Werkzeug auspackten, oder vertilgten den letzten Bissen ihres Frühstücks.
    Es schien hier nicht sonderlich geregelt zuzugehen   – zumindest nicht für einen Außenstehenden. Ein kleiner Schuppen zu ihrer Rechten diente anscheinend als Büro; er enthielt zumindest einen Schreibtisch, der zentimeterhoch mit Papieren bedeckt war. Es war jedoch niemand zu sehen. Keiner schien sich um ihre Anwesenheit zu kümmern, daher ging sie gemächlich über das Gelände und sah sich einfach um.
    Eine Baustelle hatte sie sich eher wie eine Mischung aus Fabrik und Ameisenhaufen vorgestellt: viele Leute, die herumwuselten und dennoch nichts taten, bis eine riesige Glocke sie zur Arbeit rief und sie ihre Plätze einnahmen. Was sie sah, wirkte dagegen eher ruhig und selbstbestimmt. Ein paar Maurer hatten bereits damit angefangen, Mörtel anzumischen, andere Bauarbeiter begaben sich langsam an ihre Arbeitsplätze. Niemand nahm von ihr Notiz, und sie hatte den Verdacht, dass das nicht an ihrer außergewöhnlich guten Verkleidung lag.
    Am Südende des Baugeländes trieb sich eine Gruppe von ungefähr sechs Männern und Jungen im Schatten des Palastes herum. Als sie näher kam, stellte Mary fest, dass sie sich alle um einen Mann scharten. Er war um die Ende vierzig, hatte den üblichen Bart und Schnauzer und einen wohlgenährten Bauch. Er war außerdem der Einzige auf der Baustelle, der Kragen und Krawatte trug. Die Chance, dass es sich um den leitenden Bauingenieur, Mr Harkness, handelte, stand also gut. Die Tatsache, dass er müde und gehetzt wirkte, untermauerte ihre Vermutung.
    »Ich verstehe ja«, sagte er gerade, »dass ihr im Moment knapp an Personal seid. Ich will versuchen, einen Mann zu finden, der euch diese Woche zur Hand geht, aber es liegt in deiner Verantwortung, jemand Neuen für eure Kolonne einzustellen.«
    Der Mann, den er ansprach   – ein großer, kräftig gebauter Kerl Mitte dreißig   –, sah finster und verärgert aus. »Als ob ich das nicht weiß! Aber das braucht doch Zeit. Uns fehlt ein erfahrener Maurer, kein nichtsnutziger Lehrbursche.«
    Unter Harkness’ linkem Auge zuckte ein Muskel. »Ich weiß«, sagte er beschwichtigend. »Wie ich schon sagte, ich tue mein Bestes.«
    Ein Arbeiter drängte sich mit finsterem Gesicht aus der Gruppe. »›Ich tue mein Bestes‹«, äffte er Harkness nach. »Verdammter, nichtsnutziger Drecksk–« Sein Blick fiel auf Mary und funkelte zornig auf. »Was zum Teufel glotzt du so, Junge?«
    Rasch wandte sie den Blick ab und gesellte sich zu den anderen. Der Mann war also ein ehemaliger Arbeitskollege von Wick. Ob sie wohl Freunde gewesen waren?
    Es dauerte lange, bis Harkness jedem Bauarbeiter seine Anweisungen gegeben hatte. Als sich Mary schließlich bei ihm meldete, starrte er sie aus seinen rotgeränderten Augen an. »Wer?«
    Hatte sie nicht deutlich genug gesprochen? »Mark Quinn, Sir. Ich soll heute als Lehrjunge beginnen, wenn ich bitten darf.«
    Das Zucken wiederholte sich und er drückte die Hand erschöpft auf die Stelle am Auge. »Als unspezifischer Laufjunge?«
    Mary versuchte, zuversichtlich zu wirken. »Ja, Sir.« Was konnte da schiefgelaufen sein? Hatte jemand vergessen, die Stelle zu organisieren? Oder sah sie   – und
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