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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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von Cadignan eine servile Verbeugung.
    »Zittern Sie nicht mehr, schöne Dame, wir führen keinen Krieg mit den Prinzen«, sagte er und nahm neben ihr Platz. Malin hatte die Achtung Ludwigs XVIII. genossen, dem seine gereifte Erfahrung nicht unnützlich war. Er hatte viel zum Sturze von Decazes beigetragen und stark zu dem Ministerium Villèle geraten. Von Karl X. kühl aufgenommen, hatte er sich Talleyrands Groll zu eigen gemacht. Damals stand er in großer Gunst bei der zwölften Regierung, der er seit 1789 zu dienen den Vorzug hatte und der er zweifellos schlechte Dienste leisten wird, aber seit fünfviertel Jahren hatte er die Freundschaft abgebrochen, die ihn seit sechsunddreißig Jahren mit dem berühmtesten Diplomaten Frankreichs verband. An jenem Abend ließ er über diesen großen Staatsmann das Wort fallen:
    »Kennen Sie den Grund seiner Feindschaft gegen den Herzog von Burgund? ... Der Prätendent ist zu jung.«
    »Da geben Sie den jungen Leuten einen eigentümlichen Rat«, entgegnete Rastignac.
    De Marsay, der seit der Bemerkung der Prinzessin sehr nachdenklich geworden war, ging auf diese Scherze nicht ein. Er blickte Gondreville heimtückisch an und wartete offenbar auf den Aufbruch des Greises, der früh zu Bette ging, bevor er das Wort ergriff. Alle Anwesenden, die Zeugen des Fortgehens der Marquise von Ginq-Cygne gewesen waren und dessen Grund kannten, ahmten de Marsays Schweigen nach. Gondreville, der die Marquise nicht erkannt hatte, verstand die Gründe dieser allgemeinen Zurückhaltung nicht, aber seine Geschäftsgewandtheit und die politischen Sitten hatten ihm Takt beigebracht; zudem war er ein Mann von Geist. Er glaubte, daß seine Anwesenheit lästig fiel, und empfahl sich. De Marsay, der am Kamin stand, betrachtete diesen langsam davongehenden siebzigjährigen Greis in einer Weise, die ernste Gedanken erraten ließ.
    »Es war falsch von mir, Gnädigste, daß ich Ihnen meinen Unterhändler nicht genannt habe«, sagte der Premierminister schließlich, als er das Rollen des Wagens hörte. »Aber ich will meinen Fehler wieder gutmachen und Ihnen das Mittel geben, sich mit den Cinq-Cygnes auszusöhnen. Die Sache spielte vor mehr als dreißig Jahren; sie ist ebenso alt wie der Tod Heinrichs IV., der – unter uns gesagt – trotz des Sprichworts wie viele andere geschichtliche Katastrophen zu der unbekanntesten Geschichte gehört. Übrigens schwöre ich Ihnen, auch wenn diese Sache die Marquise nichts anginge, wäre sie darum nicht minder merkwürdig. Kurz, sie beleuchtet einen in unseren modernen Annalen berühmten Übergang: den über den Sankt Bernhard. Die Herren Gesandten werden daraus ersehen, daß unsere heutigen Politiker in bezug auf die Tiefe recht weit hinter den Machiavellis zurückblieben, die die Volksfluten von 1793 über die Stürme hinaushoben und von denen einige, wie die Ballade sagt, einen Hafen gefunden haben. Um heute in Frankreich etwas darzustellen, muß man von den Orkanen jener Zeit hin und her geworfen worden sein.«
    »Aber mir scheint,« lächelte die Prinzessin, »in dieser Hinsicht läßt Ihre jetzige Lage nichts zu wünschen übrig ...«
    Ein dezentes Lachen spielte auf allen Lippen, und selbst de Marsay konnte sich des Lächelns nicht erwehren. Die Gesandten schienen ungeduldig, de Marsay bekam einen Hustenanfall, und alles schwieg.
    »In einer Juninacht des Jahres 1800,« sagte der Premierminister, »gegen drei Uhr morgens, in dem Augenblick, da die Lichter im Morgengrauen erblaßten, verließen zwei Männer, die des Bouillottespiels müde waren oder nur gespielt hatten, um die anderen zu beschäftigen, den Salon des Ministeriums des Auswärtigen, das damals in der Rue du Bac lag, und gingen in ein Boudoir. Diese beiden, von denen der eine tot ist und der andere mit einem Fuß im Grabe steht, sind jeder in seiner Weise gleich außerordentlich. Alle beide sind Priester gewesen, und beide sind abtrünnig geworden; beide haben geheiratet. Der eine war simpler Oratorianer, der andere hatte die Bischofsmütze getragen. Der eine hieß Fouche, den Namen des anderen nenne ich Ihnen nicht; aber beide waren damals einfache französische Bürger, freilich sehr wenig einfach. Als sie das Boudoir betraten, zeigten die noch anwesenden Personen etwas Neugier. Ein Dritter folgte ihnen. Der hielt sich für weit stärker als die beiden anderen und hieß Siéyès, und wie Sie alle wissen, war er vor der Revolution gleichfalls ein Mann der Kirche. Der, dem das Gehen schwer wurde, war
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