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Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Eine dunkle Geschichte (German Edition)

Titel: Eine dunkle Geschichte (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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haben alle die gleichen Interessen‹, versetzte Siéyès bestimmt, ›und unsere Interessen decken sich mit denen des Vaterlands.‹
    ›Etwas Seltenes!‹ lächelte der Diplomat.
    ›Wir müssen handeln‹, setzte Fouché hinzu. ›Die Schlacht ist im Gange, und Melas hat überlegene Streitkräfte. Genua ist aufgegeben, und Masséna hat den Fehler begangen, sich nach Antibes einzuschiffen. Es ist also nicht sicher, ob er zu Bonaparte stoßen kann, der dann auf seine eigenen Kräfte angewiesen ist.‹
    ›Woher haben Sie diese Nachricht?‹ fragte Carnot.
    ›Sie ist sicher‹, entgegnete Fouché. ›Sie werden die Meldung zur Börsenstunde haben.‹
    ›Die machten keine Umstände‹, sagte de Marsay lächelnd und hielt einen Augenblick inne.
    ›Nun können wir aber‹, sagte Fouché, ›erst bei Eintreffen der Unglücksbotschaft die Klubs organisieren, den Patriotismus wecken und die Verfassung ändern. Unser achtzehnter Brumaire muß vorbereitet sein.‹
    ›Überlassen wir das dem Polizeiminister,‹ sagte der Diplomat, ›und mißtrauen wir Lucian.‹ (Lucian Bonaparte war damals Minister des Innern.)
    ›Den werde ich verhaften‹, sagte Fouché.
    ›Meine Herren,‹ rief Siéyès aus, ›unser Direktorium soll keinen anarchistischen Umwälzungen mehr unterworfen sein. Wir organisieren eine oligarchische Gewalt, einen Senat auf Lebenszeit, eine gewählte Kammer, die in unsrer Hand sein wird ... Denn wir wollen aus den Fehlern der Vergangenheit lernen.‹
    ›Bei diesem System werde ich Frieden kriegen‹, sagte der Bischof.
    ›Machen Sie mir einen sichren Mann ausfindig, um mit Moreau in Verbindung zu treten, denn das Heer in Deutschland wird unsere einzige Stütze werden!‹ rief Carnot, der in tiefes Nachsinnen verloren blieb.
    »Fürwahr,« fuhr de Marsay nach einer Pause fort, »die Leute hatten recht, meine Herren! Sie waren in dieser Krise groß, und ich hätte es wie sie gemacht.«
    ›Meine Herren!‹ rief Siéyès in ernstem und feierlichem Tone,« fuhr Marsay in seiner Erzählung fort.
    »Dies Wort ›meine Herren‹ wurde vollkommen verstanden. Alle Blicke drückten das gleiche Gelübde aus, das gleiche Versprechen unbedingten Schweigens und völliger Solidarität, falls Bonaparte als Sieger zurückkehrte.
    ›Wir alle wissen, was wir zu tun haben‹, setzte Fouché hinzu.
    Siéyès hatte ganz sacht den Riegel zurückgeschoben; sein Priesterohr hatte ihn nicht getäuscht. Lucian trat ein.
    ›Gute Nachricht, meine Herren! Ein Kurier bringt Frau Bonaparte ein Briefchen vom Ersten Konsul: Er hat mit einem Siege bei Montebello begonnen.‹
    Die drei Minister blickten sich an.
    ›Ist es eine allgemeine Schlacht?‹ fragte Carnot.
    ›Nein, ein Gefecht, in dem Lannes sich mit Ruhm bedeckt hat. Das Treffen war blutig. Er wurde mit zehntausend Mann von achtzehntausend angegriffen und ist durch eine ihm zu Hilfe geschickte Division gerettet worden. Ott ist auf der Flucht. Kurz, Melas' Operationslinie ist durchbrochen.‹
    ›Wann fand der Kampf statt?‹ fragte Garnot.
    ›Am achten‹, entgegnete Lucian.
    ›Wir haben heut den dreizehnten‹, fuhr der kluge Minister fort. ›Wohlan, allem Anschein nach wird Frankreichs Schicksal in diesem Augenblick, wo wir plaudern, entschieden.‹ (In der Tat begann die Schlacht bei Marengo am vierzehnten Juni in der Morgendämmerung.)
    ›Vier Tage tödlichen Wartens‹, sagte Lucian.
    ›Tödlich?‹ wiederholte der Minister des Auswärtigen kalt und mit fragender Miene.
    ›Vier Tage‹, sagte Fouché.
    Ein Augenzeuge hat mir bestätigt, daß die beiden Konsuln diese Einzelheiten erst in dem Augenblick erfuhren, als die sechs Personen wieder in den Salon traten. Es war um vier Uhr Morgens. Fouché brach zuerst auf. Folgendes tat mit höllischer und stummer Tatkraft dies finstere, tiefe, außerordentliche, wenig bekannte Genie, das aber ganz gewiß dem Genie Philipps II., Tiberius' und Caesar Borgias gleichwertig war. Sein Benehmen bei der Affäre von Walcheren war das eines erfahrenen Soldaten, eines großen Staatsmannes und eines vorausschauenden Verwaltungsmannes. Er war der einzige Minister, den Napoleon hatte. Sie wissen, daß er damals Napoleon ängstigte. Fouché, Masséna und der Fürst sind die drei größten Männer, die stärksten Köpfe in der Diplomatie, im Krieg und in der Regierung, die ich kenne. Hätte Napoleon sie offen an seinem Werke beteiligt, es gäbe kein Europa mehr, sondern nur ein französisches Riesenreich. Fouché hat sich von Napoleon
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