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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift
Autoren: Franz Werfel
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ja gar nicht interessant …«
    »Nicht interessant«, fel er ihr erschrocken ins Wort. »Nichts auf der Welt ist interessanter für mich …« Und er schloß leise: »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie ich Sie bewundere …«
    Das ist diesmal keine Lüge. Ich bewundere sie wirklich. Sie hat den großartigen Lebensmut und die abscheuliche Ungebundenheit ihrer Rasse. Was wäfFkus mir geworden an ihrer Seite? Vielleicht war tatsächlich was geworden aus mir. Jedenfalls etwas ganz und gar andres als ein Sektionschef knapp vor der Pensionierung. Vertragen aber hätten wir uns keine einzige Stunde. – Seine Betrofenheit wurde immer größer. Plötzlich drängte sich in den Raum ein hellerer anderer. Das Zimmer, das sie in Bingen am Rhein bewohnt hatten. – Alles steht an seinem Platz, meiner Treu, ich sehe den altertümlichen Kachelofen. – Es war, als felen ihm die Schuppen von den Augen der Erinnerung.
    »Was ist da zu bewundern?« hatte Vera ungehalten gefragt.
    »Ich mein, Sie lassen doch alles zurück, hier in der Alten Welt, wo Sie geboren sind, wo Sie Ihr ganzes Leben zugebracht haben …«
    »Ich lasse gar nichts zurück«, erwiderte sie trocken. »Ich stehe allein, ich bin zum Glück nicht verheiratet …«
    War das eine neue Last auf der Waagschale? Nein! Leonidas empfand dieses ›Ich bin nicht verheiratet als einen leisen Triumph, der ihm wohlig die Adern durchprickelte. Er lehnte sich weit zurück. Länger durfte man nicht mehr Konversation machen. Die Worte kamen ein wenig stockend von seinen Lippen:
    »Ich glaubte, Sie hätten für jenen jungen Mann zu sorgen … So wenigstens hab ich Ihren Brief verstanden …«
    Vera Wormser belebte sich jäh. Sie änderte ihre Haltung. Sie beugte sich vor. Ihm war’s, als ob ihre Stimme errötete:
    »Wenn es möglich wäre, daß Sie mir in diesem Falle helfen, Herr Sektionschef …«
    Leonidas schwieg recht lange, ehe es ohne jedes Bewußtsein warm und tief aus ihm hervordrang: »Aber Vera, das ist doch selbstverständlich …« »Nichts auf der Welt ist selbstverständlich«, sagte sie und begann ihre Handschuhe auszuziehen. Es war wie ein sanftes Entgegenkommen, wie der gutwillige Versuch, ein übriges zu tun und mit ein wenig mehr von sich selbst anwesend zu sein. Und nun sah Leonidas die kleinen überzarten Hände, diese vertrauensvollen Partner des einstigen Handin-Hand. Die Haut war ein bißchen gelblich und die Adern traten hervor. Auf keinem Finger ein Ring. Die Stimme des Mannes vibrierte:
    »Es ist hundertmal selbstverständlich, Vera, daß ich Ihren Wunsch erfülle, daß ich den jungen Mann auf dem besten Gymnasium hier unterbringe, bei den Schotten, wenn’s Ihnen recht ist, das Semester hat kaum begonnen, er wird schon übermorgen in die Abiturientenklasse eintreten können. Ich werde mich um ihn kümmern, ich werde sorgen für ihn, so gut ich kann …«
    Ihr Gesicht kam noch näher. Die Augen leuchteten :
    »Wollen Sie das wirklich tun? … Ach, dann fällt mir’s noch viel leichter, Europa zu verlassen …« Sein sonst so wohlgeordnetes Gesicht war ganz auseinandergefallen. Er hatte fehende Hundeaugen :
    »Warum beschämen Sie mich, Vera? Merken Sie nicht, wie es in mir aussieht …«
    Er schob seine Hand an die ihre heran, die auf dem Tisch lag, wagte es aber nicht, sie zu berühren: »Wann werden Sie mir den Jungen schicken? Erzählen Sie etwas von ihm! Sagen Sie, wie heißt er mit dem Vornamen …«
    Vera sah ihn groß an: »Er heißt Emanuel«, sagte sie zögernd.
    »Emanuel? Emanuel? Hat nicht Ihr seliger Herr Papa Emanuel geheißen? Es ist ein schöner und nicht abgegrifener Name. Ich erwarte Emanuel morgen um halb elf Uhr bei mir, das heißt natürlich im Ministerium. Es wird nicht ohne Konfikt abgehen. Es wird sogar die schwersten Konfikte geben. Ich aber bin bereit, sie auf mich zu nehmen, Vera. Ich bin zu den einschneidendsten Entschlüssen bereit …«
    Sie schien plötzlich wieder kühl zu werden und sich zurückzuziehen:
    »Ja, ich weiß«, sagte sie, »man hat mir schon von diesen Schwierigkeiten berichtet, die sich in Wien sogar einer so hohen Protektion heute in den Weg stellen …«
    Er hatte nicht recht hingehört. Seine Finger waren ineinander verkrampft:
    »Denken Sie nicht an diese Schwierigkeiten! Sie haben zwar keinen Grund, meinen Schwüren zu glauben, aber ich gebe Ihnen mein Wort, die Sache wird geregelt werden …«
    »Es liegt doch ganz in Ihrer Macht, Herr Sektionschef …«
    Leonidas senkte seine Stimme, als wünsche er
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