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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift
Autoren: Franz Werfel
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ich es bin. Ihre Gegenwart hat von jeher meine Schwächen herausgefordert. Seine Hände wurden kalt vor Mißbehagen. Sie entgegnete:
    »Ich bleibe nur mehr zwei bis drei Tage hier, bis ich alles erledigt hab …«
    »Oh«, sagte er mit einem fast erschrockenen Klang, »und dann kehren Gnädigste wieder nach Deutschland zurück?« Er konnte es nicht verhindern, daß in der Kadenz dieser Frage eine Spur von Erleichterung nachtönte. Jetzt sah er zum erstenmal, daß die klare elfenbeinerne Stirn der Dame voll von geraden Falten war.
    »Nein! Ganz im Gegenteil, Herr Sektionschef«, gab sie zurück, »ich gehe nicht wieder nach Deutschland …«
    Etwas in ihm erkannte nun ihre Stimme, die schnippisch unerbittliche Stimme der Fünfzehnjährigen am Vatertisch. Er machte eine um Entschuldigung bittende Geste, als sei ihm ein unverzeihlicher Schnitzer unterlaufen:
    »Pardon, Gnädige, ich verstehe. Es muß jetzt nicht besonders angenehm sein, in Deutschland zu leben …«
    »Warum? Für die meisten Deutschen ist es sehr angenehm«, stellte sie kühl fest, »nur für unsereins nicht …«
    Leonidas nahm einen patriotischen Anlauf. »Da sollten Gnädige doch daran denken, in die alte Heimat zu übersiedeln … Bei uns beginnt sich jetzt manches zu rühren …«
    Die Dame schien andrer Meinung zu sein. Sie lehnte ab:
    »Nein, Herr Sektionschef. Ich bin zwar nur kurze Zeit hier und maße mir kein Urteil an. Aber endlich möchte auch unsereins freie und reine Luft atmen …«
    Also da wäre er wieder, der alte Hochmut dieser Leute, die empörende Überheblichkeit. Selbst dann, wenn man sie in den Keller gesperrt hat, tun sie so, als würden sie vom siebenten Stockwerk auf uns herunterblicken. Gewachsen sind ihnen wirklich nur die primitiven Barbaren, die mit ihnen nicht diskutieren, sondern sie ohne viel Federlesens niederknüppeln. Ich sollte heute noch Spittelberger aufsuchen und ihm den Abraham Bloch opfern. Freie und reine Luft. Sie ist geradezu undankbar gegen mich. Leonidas empfand die mißbilligende und ärgerliche Regung seines Herzens als Wohltat. Sie entlastete ihn ein wenig. Zugleich aber hatte das Antlitz der Dame in der Sofaecke eine neue Station erreicht, und zwar die endgültige. Nun war’s keine Reproduktion mehr oder Übersetzung, sondern das Original selbst, wenn auch verschärft und nachgedunkelt. Und siehe, es bewahrte noch immer jenes herbe Licht der Reinheit und Fremdartigkeit, das einst den armen Hauslehrer und später den jungen Ehemann einer andern um den Verstand gebracht hatte. Reinheit? Kein Gedanke hinter dieser weißen Stirn, man fühlte es, war nicht übereingestimmt mit dem ganzen Wesen. Nur noch härter und wunschloser als einst trat sie zutage. Fremdartigkeit? Wer konnte sie ausdrücken? Die Fremdartigkeit war noch fremdartiger geworden, wenn auch weniger hold.
    Die Tanzmusik grölte von neuem auf. Leonidas mußte seine Stimme erheben. Ein sonderbarer Zwang formte seine Worte. Sie klangen trocken und gespreizt, zum Aus-der-Haut-Fahren:
    »Und wohin wollen Gnädigste den Wohnsitz verlegen?«
    Bei ihrer Antwort schien Vera Wormser tief aufzuatmen:
    »Übermorgen bin ich in Paris und am Freitag geht mein Schif von Le Havre …«
    »Gnädige reisen also nach New York«, sagte Leonidas ohne Fragezeichen und nickte zustimmend, ja belobend.
    Sie lächelte schwach, als amüsiere es sie, daß sie auch heute sattsam zum Widerspruch komme, denn bisher hatte sie fast jede ihrer Erwiderungen mit einem ›Nein‹ einleiten müssen.
    »Oh, nein! New York? Gott behüte, das ist nicht so einfach. So hoch will ich gar nicht hinaus. Ich gehe nach Montevideo …«
    »Montevideo«, strahlte Leonidas mit albernem Ton, »das ist ja entsetzlich weit …«
    »Weit von wo?« fragte Vera ruhig. Sie zitierte damit die melancholische Scherzfrage der Exilierten, die ihren geographischen Schwerpunkt verloren haben.
    »Ich bin ein eingefeischter Wiener«, gestand Leonidas, »was sag ich, ein eingefeischter Hietzinger. Für mich war’s schon ein schwerer Entschluß, in einen anderen Bezirk zu übersiedeln. Ein Leben dort unten am Äquator? Ich war todunglücklich, trotz aller Kolibris und Orchideen …«
    Das Frauengesicht im Zwielicht wurde noch um einen Grad ernster:
    »Und ich bin sehr glücklich, daß man mir in Montevideo eine Lehrstelle angetragen hat. An einem großen College dort. Viele beneiden mich. Unsereins muß hoch zufrieden sein, wenn er irgendwo Zufucht fndet und sogar eine Arbeit … Aber all das ist für Sie
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