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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift
Autoren: Franz Werfel
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verließ er, federnden Schrittes, an dem jungen Menschen vorbei, sein Amtszimmer. Es gehörte zu den wohlbedachten Gepfogenheiten des Sektionschefs, daß er mit seinem großen Wagen niemals am Portal des Ministeriums vorfuhr, sondern, wenn er ihn überhaupt benützte, ihm schon in der Herrengasse entstieg. Mehr als er den Neid der Kollegen fürchtete, empfand er es (vorzüglich während der Arbeitszeit) als ›taktlos‹, seinen materiellen Glücksstand zur Schau zu tragen und die spartanischen Grenzen des Beamtentums augenfällig zu überschreiten. Minister, Politiker, Filmschauspieler durften sich ruhig in strahlenden Limousinen spreizen, denn sie waren Geschöpfe der Reklame. Ein Sektionschef hingegen hatte (bei aller zulässigen Elegance) die Pficht, eine gewisse karge Dürftigkeit hervorzukehren. Diese betonte Dürftigkeit war vielleicht eine der unduldsamsten Formen menschlichen Hochmuts. Wie oft hatte er mit aller gebotenen Vorsicht Amelie davon zu überzeugen gesucht, daß ihr heiter-unerschöpficher Aufwand an Schmuck und Gewändern seiner Stellung nicht völlig entspreche. Vergebliche Predigt! Sie lachte ihn aus. Hierin lag einer der Lebenskonfikte, die Leonidas oft verwirrten … Diesmal fuhr er mit der Straßenbahn, die er in der Nähe des Schönbrunner Schlosses verließ.
    Der Regen hatte schon vor einer Stunde nachgelassen und jetzt völlig aufgehört. Es war aber nur wie die schleppende Pause in einer Krankheit, wie das trübe Loch der Schmerzlosigkeit zwischen zwei Anfällen. Der Wolkentag hing naß und schlapp auf Halbmast, und jede der seltsam verlangsamten Minuten schien zu fragen: Bis hierher wären wir gekommen, doch was nun? Leonidas spürte in allen Nerven die entscheidende Veränderung, die seit heute morgen die Welt hatte erdulden müssen. Er wurde sich jedoch über die Ursache dieser Veränderung erst klar, als er durch die breite, von Platanen fankierte Straße, längs der hohen Schloßmauer dahineilte. Unter seinen Füßen schwang höchst unangenehm ein dick vollgesogener Teppich von gefallenem Laub. Die jäh verfärbten Platanenblätter waren so korporell aufgeschwemmt und schnalzten unter jedem Tritt, daß man hätte wähnen können, ein Wolkenbruch von Kröten sei niedergegangen. Seit wenigen Stunden war mehr als die Hälfte des Laubes von den Bäumen geweht, und der Rest hing schlaf an den Ästen. Was heute allzujung als Aprilmorgen begonnen hatte, endete im Handumdrehen allzualt als Novemberabend.
    Im Blumengeschäft an der nächsten Straßenecke schwankte Leonidas unerlaubt lange zwischen weißen und blutroten Rosen. Er entschied sich endlich zu achtzehn langstieligen hellgelben Teerosen, deren sanfter, ein wenig fauliger Duft ihn anzog. Als er dann in der Hotelhalle sich bei Frau Doktor Wormser anmelden ließ, erschrak er plötzlich über die verräterische Zahl ›achtzehn‹, die er ganz unbewußt gewählt hatte. Achtzehn Jahre! Auch fel ihm jener ominöse Rosenstrauß ein, den er als lächerlich Verliebter der kleinen Vera einst mitgebracht hatte, ohne den Mut zu fnden, ihn zu überreichen. Nun war’s ihm, als seien es damals ebenfalls hellgelbe Teerosen gewesen und sie hätten genau so geduftet, so sanft, so rund, wie die Blume eines paradiesischen Weines, den es auf Erden nicht gibt. »Madame läßt Herrn Sektionschef bitten, hier zu warten«, sagte der Portier unterwürfg und begleitete den Gast in eines der Gesellschaftszimmer zu ebener Erde. Man kann von einem Hotelsalon nichts Besseres erwarten, beruhigte Leonidas sich selbst, dem die dämmrige Räumlichkeit samt ihrer Einrichtung ungewöhnlich auf die Nerven fel. Es ist scheußlich, die Geliebte seines Lebens in der öfentlichen Intimität dieses Allerwelts-Wohnzimmers wiederzusehen, jede Bar wäre besser, ja selbst ein bummvolles Kafeehaus mit Musik. Daß Vera wirklich und wahrhaftig die ›Geliebte seines Lebens‹ gewesen sei, dessen empfand Leonidas jetzt eine ganz unbegründete Sicherheit.
    Das Zimmer war vollgestopft mit lauter gewichtigen Möbelstücken. Sie ragten wie mürrische Festungen einer verschollenen Repräsentation ins Ungewisse. Sie standen da wie eine vom Ausrufer verlassene Versteigerung, in die sich für ein Stündchen oder zwei vorüberschlendernde Zufallsgäste einnisten. Üppige Sitzgarnituren, japanische Schränke, lampentragende Karyatiden, ein orientalisches Kohlenbecken, geschnitzte Truhen, Tabouretts usw. An der Wand dehnte sich ein keusch verhüllter Flügel. Die Plüschdecke, die ihn von
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