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Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Eine blaßblaue Frauenhandschrift

Titel: Eine blaßblaue Frauenhandschrift
Autoren: Franz Werfel
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oben bis unten verhing, war schwarz. Er glich daher einem Katafalk für tote Musik. Das Bahrtuch war außerdem noch mit allerlei Gegenständen aus Bronze und Marmor beschwert, auch sie wie zum Verkauf aneinandergereiht: Ein trunkener Silen, der eine Visitenkartenschale balanciert, eine geschmeidige Tänzerin ohne ersichtlich praktischen Zweck, ein prunkvolles Tintenzeug, groß und ernst genug, um bei Unterschrift eines Friedensvertrages Dienst zu tun, und dergleichen mehr, das hier die Aufgabe zu haben schien, die tote oder scheintote Musik am Entweichen zu hindern. Leonidas faßte den Verdacht, dieses Klavier sei ausgeweidet und nur eine ehrbare Attrappe, denn ein lebendiges Instrument würde die Leitung des Hotels beim täglichen Tanztee verwenden, dessen Zurüstung draußen vernehmbar wurde. Lebendig in diesem Raum waren nur die beiden aufgeklappten Spieltische, auf denen noch die Bridgekarten dalagen, ein Bild behaglicher Zerstreuung und ungetrübter Seelenruhe, das den neidischen Blick immer wieder anzog. Leonidas war selbstverständlich ein Meister dieses Spiels … Er ging beständig auf und ab, wobei er sich zwischen den kantigen Vorgebirgen der Möbel und Tische durchschlängeln mußte. Noch immer hielt er die in Seidenpapier verpackten Rosen in der Hand, obwohl er fühlte, daß die empfndsamen Blüten unter seiner Körperwärme zu ermüden begannen. Er besaß aber die Willenskraft nicht, sie fortzule gen. Auch ging der schwache Duft mit ihm und tat ihm wohl. Im gleichmäßigen Auf und Ab stellte er fest: Mein Herz klopft. Ich erinnere mich nicht mehr, wann mir das Herz zum letzten Male so fühlbar geklopft hat. Dieses Warten erregt mich sehr. – Er stellte ferner fest: Ich habe nicht einen einzigen Gedanken im Kopf. Dieses Warten füllt mich ganz aus. Es ist mir nicht klar, wie ich beginnen werde. Ich weiß nicht einmal, wie ich Vera ansprechen soll. – Und endlich: Sie läßt mich sehr lange warten. Kein Minister läßt mich so lange warten. Es ist schon mindestens zwanzig Minuten, daß ich in diesem abscheulichen Salon hin- und herrenne. Ich werde aber keinesfalls auf die Uhr schauen, damit es mir unbekannt bleibe, wie lange ich schon warte. Es ist natürlich Veras gutes Recht, mich warten zu lassen, so lange es ihr richtig scheint. Wahrhaftig, eine winzige Strafe. Ich darf ‘s mir gar nicht vorstellen, wie sie auf mich gewartet hat, in Heidelberg, Wochen, Monate, Jahre … Er unterbrach seinen Rundgang nicht. In der Halle pochte die Tanzmusik. Leonidas fuhr zusammen: Auch das noch! Am besten wär’s, sie käme überhaupt nicht. Ich würde ruhig eine volle Stunde hier warten, auch zwei Stunden und dann weggehen, ohne ein Wort zu sagen. Ich hätte das meinige getan und müßte mir keine Vorwürfe mehr machen. Hoffentlich kommt sie nicht. Es dürfte ja auch für sie keine geringe Unannehmlichkeit sein, mich wiederzusehen. Mir ist zumute, wie vor einer schweren Prüfung oder gar vor einer Operation … So, jetzt ist sicher eine halbe Stunde vorüber. Ich nehme an, daß sie das Hotel verlassen hat, um mir nicht zu begegnen. Nun, ich warte meine Stunde aus. Dieses Jazz-Geräusch ist übrigens gar nicht so störend. Es scheint die Zeit zu beschleunigen. Und dunkel wird’s auch …
    Der dritte Tanz war draußen im Gange, als die kleine zierliche Dame unversehens im Salon stand:
    »Ich mußte Sie etwas warten lassen«, sagte Vera Wormser, ohne diesen Satz durch eine Entschuldigung zu begründen, und reichte ihm die Hand. Leonidas küßte die sehr gebrechliche Hand im schwarzen Handschuh, lächelte begeistert mokant und begann auf den Zehenspitzen zu wippen: »Aber bitte«, näselte er, »das macht gar nichts … Ich habe mich heut eigens …« Und er fügte zaghaft hinzu: »Gnädigste …«
    Damit übergab er ihr den Strauß, ohne ihn aus dem Papier gewickelt zu haben. Mit gelassenem Grif befreite sie die Teerosen. Sie tat es aufmerksam und ließ sich Zeit. Dann sah sie sich in diesem fremden häßlichen Raum nach einem Gefäß um, fand sogleich eine Vase, ein Krug mit Trinkwasser stand auf einem der Spieltische, sie füllte die Vase vorsich tig und steckte, eine nach der andern, die Rosen hinein. Das Gelb fammte im Zwielicht. Die Frau sagte nichts. Die kleine Arbeit schien sie völlig auszufüllen. Ihre Bewegungen waren von innen her gesammelt, wie es bei Kurzsichtigen der Fall zu sein pfegt. Sie trug die Vase mit den sanften Rosen zur Sitzgarnitur beim Fenster, stellte sie auf das runde Tischchen und ließ
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