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Eine bezaubernde Erbin

Eine bezaubernde Erbin

Titel: Eine bezaubernde Erbin
Autoren: Sherry Thomas
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Graves keine einzige Einladung, um an den Festivitäten teilzunehmen.
    Und warum sollte er sich auch anders verhalten? An Lord Fitzhughs Stelle würde Millie auch die letzten Tage ihrer Freiheit nach Kräften genießen und keine Sekunde an die Frau verschwenden, an die sie schon bald für den Rest ihres Lebens gebunden wäre.
    Aber dass sie verstand, warum er Distanz wahrte, machte es nur noch schlimmer. Wenn sie nicht von ihrem Elend niedergedrückt wurde, dann überkam sie Scham. In seinen Augen würde sie immer alles symbolisieren, was am Erwachsenwerden reizlos war: die erdrückenden Pflichten, der Mangel an Entscheidungsfreiheit und die entsetzliche Notwendigkeit, auf seine Träume zu verzichten, um die Gläubiger bezahlen zu können.
    Die Unnahbarkeit Lord Fitzhughs konnte hingegen Mrs Graves nicht davon abhalten, Millie am Tage des Eton-Harrow-Spiels zum Lord’s Cricket Ground zu zerren.
    Kricket war bei Jung und Alt ein beliebter Zeitvertreib sowohl für die gehobene Gesellschaft als auch die Arbeiter. Einige weniger gesetzte Pfarrer gesellten sich an manch einem Sonntagnachmittag zu einem Spiel zu ihren Gemeindemitgliedern. Und es war das beherrschende Spiel im Leben der Schüler.
    Das Eton-Harrow-Spiel auf dem Lord’s Ground war jedoch kein Sportereignis. Der Sport diente der guten Gesellschaft lediglich als Ausrede, sich zu einem fröhlichen, ganztägigen Picknick unter der warmen Sommersonne zu versammeln. Und da hierfür keine Einladungen benötigt wurden, war es für die Neureichen auch eine der wenigen Gelegenheiten, sich ohne Schwierigkeiten unter die Aristokraten zu mischen.
    Aus diesem Grund suchte Mrs Graves auch immer schon Monate im Voraus nach der passenden Kleidung, die sie und ihre Tochter zu dieser wichtigen Veranstaltung tragen würden. Aber zwei Jahre in Folge hatten sie jetzt darauf verzichten müssen. Im ersten Jahr, weil Millies Großvater mütterlicherseits gestorben war, im zweiten wegen heftiger Bauchschmerzen, die Mr Graves plagten und nach der feinfühligen Aufmerksamkeit seiner Frau und Tochter verlangten.
    Da in diesem Jahr niemand im Sterben lag und niemand auch nur ansatzweise gesundheitlich angeschlagen war, konnte Millie nur hilflos zusehen, wie Mrs Graves voller Tatendrang ihren Ausflug plante.
    Am ersten Spieltag wurde ihr wunderschöner Landauer mit Picknickkörben beladen noch vor dem Morgengrauen zum St. John‘s Wood geschickt, um den Damen am Rande des Kricketfeldes einen Platz zu sichern. Die Damen selbst, gewandet in den neuesten Kleidern aus Worth’s Pariser Modeatelier, verließen das Haus jedoch nicht vor elf Uhr.
    Um Kricket ging es dabei gar nicht. Es ging darum, zu sehen und gesehen zu werden – und das konnte man am besten zur Mittagszeit.
    Als sie ankamen, verließen die Spieler gerade das Feld. Mit einer Behändigkeit, die ihre Beschwerden über schmerzende Gelenke Lügen strafte, stieg Mrs Graves aus ihrer zweitbesten Kutsche, die sie zum Rand des Kricketfeldes gebracht hatte, um welches sich die Gefährte bereits in drei, manchmal auch fünf Reihen drängten. Sie zog Millie mit sich, als sie sich unter die Zuschauermenge mischte, die gerade das von beiden Mannschaften verlassene Spielfeld betrat.
    Der Himmel erstreckte sich in makellosem Blau über ihnen und der gestutzte Rasen in lebhaftem Grün unter ihnen. Zahllose Damen promenierten in ihren besten Frühlingskleidern, pastellene Farbkleckse wohin man auch sah, die sich vom düsteren Schwarz der Herrenröcke abhoben wie Edelsteine auf dem dunklen Samt einer Schmuckschatulle.
    Es war ein herrlicher Anblick, wenn man in der Stimmung war, den Tag zu genießen. Millie war es nicht. Ihr hatte öffentliche Aufmerksamkeit noch nie gefallen, ganz besonders nicht, wenn sie aus jenen Seitenblicken bestand, die sie in ihrer extravaganten Aufmachung auf sich zog, die sich viele der hochgeborenen Damen nicht hätten leisten können. Schlimmer noch, Mrs Graves hatte sich in die typische neureiche Mutter einer heiratsfähigen Tochter verwandelt.
    Dabei war sie das gewöhnlich nie: Sie war stolz auf ihre ehrbare großbürgerliche Abstammung. Die soziale Leiter hinaufzusteigen hatte sie nie im Sinn gehabt. Sie tat es aus Pflichtgefühl der Familie ihres Mannes gegenüber, besonders seines verstorbenen Vaters und Bruders, die sich beide danach gesehnt hatten, die Familie mit adligem Blut zu vereinen.
    Aber dieser besondere Anlass schien ihr zu Kopf gestiegen zu sein. Sie erzählte jedem, der lange genug stehenblieb,
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