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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Autoren: Carlos Castaneda
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Begegnung.
    »Du denkst zuviel über dich nach«, sagte er lächelnd. »Und das gibt dir eine so eigenartige Müdigkeit, die dich dazu bringt, dich von der Welt, die dich umgibt, abzuschließen und dich an deine Argumente zu klammern. Deshalb hast du nichts als Probleme. Ich bin auch nur ein Mensch, aber ich meine dies nicht in dem Sinn, wie du es meinst.« »Wie meinst du es?«
    »Ich habe meine Probleme überwunden. Schade, daß mein Leben so kurz ist, daß ich nicht alles haben kann, was ich möchte. Aber ich mache mir deswegen keine Sorgen; es ist halt nur bedauerlich.«
    Der Ton, in dem er dies sagte, gefiel mir. Er war frei von Verzweiflung oder Selbstmitleid.
    1961, ein Jahr nach unserer ersten Begegnung, eröffnete Don Juan mir, daß er ein geheimes Wissen über Heilpflanzen besitze. Er sagte, er sei ein brujo. Das spanische Wort brujo läßt sich mit Zauberer, Medizinmann, Heiler wiedergeben. Von diesem Zeitpunkt an wandelte sich unsere Beziehung. Ich wurde sein Schüler, und während der nächsten vier Jahre bemühte er sich, mich in die Geheimnisse der Zauberei einzuführen. Diese Lehrzeit habe ich in meinem Buch: Die Lehren des Don Juan. Ein Yaqui Weg des Wissens beschrieben. Unsere Gespräche wurden auf Spanisch geführt, und dank der Tatsache, daß Don Juan diese Sprache hervorragend beherrschte, erhielt ich detaillierte Erklärungen über die verwickelten Bedeutungen seiner Anschauungsweise. Ich bezeichne diesen komplexen und systematisch geordneten Wissensschatz als Zauberei und Don Juan selbst als einen Zauberer, weil auch er diese Begriffe im informellen Gespräch gebrauchte. Im Kontext ernsthafterer Erläuterungen jedoch verwendete er die Begriffe »Wissen«, um die Zauberei zu bezeichnen, und »Wissender« oder »einer, der weiß«, um einen Zauberer zu bezeichnen.
    Zur Vermittlung und Erhärtung seines Wissens benutzte Don Juan drei allgemein bekannte psychotrope Pflanzen: Peyote, Lophophora williamasii; Stechapfel, Datura inoxia; und eine Pilzart, die zur Gattung Psylocebe gehört. Durch Einnahme jeweils eines dieser Halluzinogene rief er in mir, seinem Schüler, gewisse Zustände verzerrter Wahrnehmung bzw. veränderten Bewußtseins hervor, die ich als »Zustände einer anderen Realität« bezeichnen will. Ich verwende bewußt das Wort »Realität«, denn es war eine wesentliche Voraussetzung von Don Juans Anschauungsweise, daß die Bewußtseinszustände, die durch die Einnahme jeder dieser drei Pflanzen hervorgerufen wurden, keine Halluzinationen, sondern konkrete, wenn auch außergewöhnliche Aspekte der alltäglichen Wirklichkeit waren. Don Juan behandelte diese Zustände nicht als ob sie wirklich wären, sondern als wirklich. Diese Pflanzen als Halluzinogene und die Wirkung, die sie hervorriefen, als Zustände einer anderen Wirklichkeit zu bezeichnen, entspricht natürlich meiner Terminologie. Don Juan verstand und erklärte die Pflanzen als Vehikel, die einen Menschen zu gewissen unpersönlichen Kräften oder »Mächten« hinführen, und die Zustände, die sie hervorriefen, als Begegnungen, die ein Zauberer mit diesen »Mächten« haben mußte, um die Kontrolle über sie zu erlangen. Peyote nannte er »Mescalito«, den er als wohlwollenden Lehrer und Beschützer der Menschen bezeichnete. Mescalito lehrte die »richtige Lebensweise«. Peyote wurde gewöhnlich bei den mitotes genannten Zusammenkünften der Zauberer eingenommen, zu denen die Teilnehmer sich ausdrücklich mit der Absicht versammelten, sich in der richtigen Lebensweise unterrichten zu lassen.
    Den Stechapfel und die Pilze sah Don Juan als Mächte anderer Art an. Er nannte sie »Verbündete« und sagte, es sei möglich, sie zu manipulieren; tatsächlich bezöge der Zauberer seine Kraft durch die Manipulation eines Verbündeten. Don Juan gab von beiden dem Pilz den Vorzug. Er behauptete, die im Pilz enthaltene Kraft sei sein persönlicher Verbündeter, und er bezeichnete sie als den »Rauch« oder den »kleinen Rauch«.
    Don Juans Verfahren, die Pilze nutzbar zu machen, bestand darin, daß er sie in einer kleinen Kalebasse zu einem feinen Pulver zerfallen ließ. Er hielt die Kalebasse ein Jahr lang verschlossen, und dann vermischte er das feine Pulver mit fünf weiteren getrockneten Pflanzen und stellte eine Mixtur her, die in einer Pfeife geraucht wurde. Um ein Wissender zu werden, mußte man dem Verbündeten so oft wie möglich »begegnen«. Man mußte sich mit ihm vertraut machen. Dies bedeutete natürlich, daß man die
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