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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Autoren: Carlos Castaneda
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Vibrationen waren so stark, daß ich glaubte, ich müsse erbrechen. Ich kämpfte gegen den Ekel an. Ich atmete tief durch und begann meine Peyote-Lieder zu singen. Ich übergab mich, und die schmatzenden Geräusche hörten augenblicklich auf. Das Geräusch der Grillen und des Windes und das ferne Stakkato der Coyoten trat in den Vordergrund. Die abrupte Unterbrechung gab mir eine Atempause, und ich konnte meinen Zustand überprüfen. Erst vor einer Weile war ich hochgemut, vertrauensvoll und unbeteiligt gewesen. Offenbar hatte ich mich in der Beurteilung der Situation gründlich geirrt. Selbst wenn Don Juan Komplizen hatte, wäre es für sie technisch unmöglich, Geräusche zu machen, die meinen Bauch angriffen. Um Geräusche dieser Intensität zu erzeugen, hätten sie Apparate benötigt, die ihre Mittel und ihre Vorstellungskraft überstiegen hätten. Offenbar war das Phänomen, dem ich beiwohnte, kein Spiel, und die Theorie, es sei »nur wieder einer von Don Juans Tricks«, war nur mein plumper Erklärungsversuch gewesen.
    Ich hatte Krämpfe, und mich überkam das unwiderstehliche Verlangen, mich umzudrehen und meine Beine auszustrecken. Ich beschloß, mich nach rechts zu drehen, um mein Gesicht von der Stelle wegzubekommen, wo ich mich übergeben hatte. In dem Moment, als ich mich zu bewegen anfing, hörte ich ein ganz leises Quieken direkt über meinem Ohr. Ich erstarrte auf der Stelle. Das Quieken wiederholte sich auf der anderen Seite meines Kopfes. Es war ein einmaliger Laut. Mir schien es dem Quietschen einer Tür zu ähneln. Ich wartete, aber ich hörte nichts mehr. Also beschloß ich, mich wieder zu bewegen. Kaum hatte ich den Kopf etwas nach rechts geschoben, da war ich beinah gezwungen aufzuspringen. Eine Flut quiekender Laute fiel über mich her. Mal war es wie das Quietschen von Türen. Dann wieder hörte es sich wie das Gequieke von Ratten oder Meerschweinchen an. Diese  Laute waren nicht laut oder intensiv, sondern sehr leise und heimtückisch, sie lösten qualvolle Krämpfe und Übelkeit in mir aus. Sie hörten auf, wie sie begonnen hatten, indem sie langsam verklangen, bis ich nur noch ein oder zwei Laute zur gleichen Zeit hörte. Dann hörte ich etwas wie die Schwingen eines Vogels über das Gebüsch streichen. Er schien in Kreisen über meinem Kopf zu fliegen. Die leisen Quietscher wurden wieder zahlreicher, desgleichen die klatschenden Flügelschläge. Über meinem Kopf schien eine Schar gigantischer Vögel zu fliegen, die ihre weichen Schwingen schlugen. Beide Geräusche verschmolzen ineinander und hüllten mich wie eine Woge ein. Ich fühlte mich in einer gigantischen, wogenden Welle schweben. Das Gequieke und Geflatter war so sanft, daß ich es auf dem ganzen Körper spürte. Die flatternden Schwingen einer Vogelschar schienen mich emporzuziehen, während das Quieken einer Armee von Ratten mich von unten und von allen Seiten zu schieben schienen.
    Ich zweifelte nicht daran, daß ich durch meine unbesonnene Dummheit etwas Furchtbares auf mich herabbeschworen hatte. Ich biß die Zähne zusammen, holte in tiefen Zügen Luft und sang Peyote-Lieder.
    Die Geräusche hielten lange an, und ich leistete ihnen mit aller Kraft Widerstand. Als sie abklangen, trat wieder eine unterbrochene »Stille« ein, wie ich gewohnt bin, Stille wahrzunehmen; das heißt, ich konnte nur die natürlichen Geräusche der Insekten und des Windes wahrnehmen. Die Phase der Stille war für mich noch unheilvoller als die Phase der Geräusche. Ich begann nachzudenken und mir ein Bild von meiner Lage zu machen, und meine Überlegungen stürzten mich in Panik. Ich wußte, daß ich verloren war. Ich besaß weder das Wissen noch die Ausdauer, um abzuwehren, was hier auf mich zukam. Ich war vollkommen hilflos, wie ich da über meinem eigenen Erbrochenen kauerte. Ich glaubte, das Ende sei da, und begann zu weinen. Ich versuchte an mein Leben zu denken, aber ich wußte nicht, wo ich beginnen sollte. Nichts, was ich in meinem Leben getan hatte, war wirklich dieser letzten Erwägung würdig, und so hatte ich nichts, woran ich denken konnte. Das war eine erstaunliche Erkenntnis. Ich hatte mich verändert, seit ich das letzte Mal eine ähnliche Furcht erlebt hatte. Diesmal war ich freier. Ich hatte weniger persönliche Gefühle mit mir herumzuschleppen.
    Ich fragte mich, was ein Krieger in dieser Situation tue, und kam zu verschiedenen Schlußfolgerungen. In der Gegend meines Nabels war etwas, das von einzigartiger Bedeutung war; die
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