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Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan

Titel: Eine andere Wirklichkeit. Neue Gespräche mit Don Juan
Autoren: Carlos Castaneda
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einmal denken oder mit mir selbst sprechen konnte. Ich schlief ein.
    Plötzlich erwachte ich von einem lauten Krachen. Der Lärm, was es auch gewesen sein mochte, mußte direkt über meinem linken Ohr entstanden sein, da ich auf der rechten Seite lag. Ich setzte mich auf und war hellwach. Mein linkes Ohr summte und war von der Nähe und der Stärke des Geräusches taub geworden. Ich hatte wohl nur sehr kurz geschlafen, nach der Menge trockener Zweige zu urteilen, die noch immer im Feuer lagen. Ich hörte keinerlei Geräusche, aber ich blieb wachsam und nährte weiter das Feuer.
    Mir kam der Gedanke, das, was mich geweckt hatte, sei vielleicht ein Gewehrschuß gewesen. Vielleicht war jemand in der Nähe und beobachtete mich, um auf mich zu schießen. Dieser Gedanke ängstigte mich sehr und löste eine Flut irrationaler Befürchtungen in mir aus. Ich war sicher, daß das Land jemandem gehörte, und wenn das der Fall war, dann konnte man mich für einen Dieb halten und mich töten, oder man könnte mich töten, um mich zu berauben, ohne zu wissen, daß ich nichts bei mir hatte. Einen Moment war ich sehr um meine Sicherheit besorgt. Ich spürte die Spannung in den Schultern und im Genick. Ich bewegte den Kopf auf und ab. Die Knochen in meinem Hals machten ein knackendes Geräusch. Ich schaute immer noch ins Feuer, aber ich sah darin nichts ungewöhnliches, auch hörte ich keine Geräusche mehr. Nach einiger Zeit entspannte ich mich ein wenig, und mir kam der Gedanke, daß vielleicht Don Juan hinter all dem steckte. Ich kam schnell zu der Überzeugung, daß dies der Fall war. Diese Idee brachte mich zum Lachen. Wieder stellte ich eine Flut von rationalen Schlußfolgerungen an - diesmal erfreulicher Art.
    Ich dachte, Don Juan habe bereits vermutet, daß ich beschließen würde, nicht in den Bergen zu bleiben, oder vielleicht hatte er gesehen, wie ich hinter ihm hergelaufen war, und sich in einer verborgenen Höhle oder hinter einem Busch versteckt. Dann war er mir sicher gefolgt, und als er sah, daß ich eingeschlafen war, hatte er mich aufgeweckt, indem er einen Ast neben meinem Ohr zerbrach. Ich tat noch mehr Zweige ins Feuer und begann mich wie beiläufig und heimlich nach ihm umzuschauen — wenn ich auch wußte, daß ich ihn nie finden würde, falls er sich irgendwo versteckte. Alles um mich her war recht anheimelnd: die Grillen, der Wind, der durch die Bäume auf den Hügeln strich, das leise Knacken der Feuer fangenden Zweige. Funken flogen umher, aber es waren nur ganz gewöhnliche Funken. Plötzlich hörte ich das laute Geräusch eines entzweibrechenden Astes. Der Lärm kam von links. Ich hielt den Atem an und lauschte mit höchster Konzentration. Im nächsten Moment hörte ich wieder rechts von mir einen Ast zerbrechen.
    Dann hörte ich weiter in der Ferne das Geräusch brechender Äste. Es war, als träte jemand auf die Äste, so daß sie knackten. Die Geräusche waren kräftig und voll, sie waren irgendwie lebendig. Auch schienen sie sich meinem Platz zu nähern. Ich reagierte sehr langsam und wußte nicht, ob ich horchen oder aufstehen sollte. Ich überlegte es mir zu lange, denn plötzlich brach überall um mich her der Lärm knackender Äste los. Ich war davon so überrascht, daß ich kaum Zeit hatte, aufzuspringen und das Feuer auszutreten.
    Ich begann im Finstern bergab zu rennen. Als ich durch die Büsche lief, kam mir der Gedanke, daß es hier kein flaches Land gab. Ich trabte weiter und versuchte, meine Augen gegen die Büsche zu schützen. Ich war halbwegs unten am Fuß des Hügels, als ich hinter mir etwas spürte, das mich beinah berührte. Es war kein Zweig. Es war etwas, das, wie ich intuitiv spürte, mich einholte. Diese Erkenntnis ließ mich schaudern. Ich zog meine Jacke aus, bündelte sie über meinem Bauch, krümmte mich über die Beine und bedeckte meine Augen mit den Händen, wie Don Juan mir aufgetragen hatte. Ich blieb einige Zeit in dieser Stellung, bis ich bemerkte, daß alles um mich her totenstill war. Es gab keine Geräusche, gleich welcher Art. Ich war außerordentlich beunruhigt. Meine Bauchmuskeln zogen sich zusammen und zuckten krampfhaft. Dann hörte ich wieder dieses Krachen. Es kam von weit her, war aber ganz klar zu erkennen. Da war es wieder, diesmal etwas näher. Einen Augenblick herrschte Stille, und dann explodierte etwas genau über meinem Kopf. Der Lärm war so unvermittelt, daß ich ungewollt aufsprang und beinah zur Seite fiel. Es war eindeutig das Geräusch eines
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