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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
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ihr Ehemann. Ihr rotes Haar begann gerade zu verblassen, wie Blätter im November, und ihre hellgrauen Augen blickten erwartungsvoll, als würde gleich etwas Wundervolles geschehen.

    Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um ihrem Mann einen Kuss zu geben, kniete dann auf dem Boden, um ihren Sohn zu begrüßen, der ihr die Arme um den Hals schlang und sein Gesicht an ihrer Schulter barg.
    Sie blickte auf. »Natürlich«, sagte sie. »Charlie Beale«, als würde sie ihn schon ihr ganzes Leben lang kennen. »Sie sind hier.« Als hätte er bereits einen Platz in ihrem Herzen, als einer der vielen guten Menschen, die ihr Leben bevölkerten. Dann stand sie auf, streckte ihm die Hand hin und sagte: »Sie sind in unserem Haus mehr als willkommen.«
    »Das ist meine Frau Alma«, sagte Will. »Sie hat mich armen Kerl vor Ruin und Verdammnis bewahrt.«
    Sie lachte. »Ach, Will, Liebling, mal doch nicht gleich den Teufel an die Wand.« Wieder dieses Wort  – Liebling. Charlie spürte es so greifbar und zart wie einen Gutenachtkuss.
    »›Ruin und Verdammnis‹. Verzeihen Sie uns, Mr. Beale, aber wir verbringen hier so viel Zeit in der Kirche, dass wir schon selber reden wie die Prediger, die ständig aus der Bibel zitieren.«
    Sie ließ seine Hand los. »Willkommen bei uns. Das müssen unsere Steaks sein.«
    Er reichte ihr schüchtern das Fleischpäckchen. »Danke für die Einladung. Langsam hatte ich genug von Sandwiches draußen am Fluss.« Charlie hatte schon seit Wochen nicht mehr mit einer Frau gesprochen. Und ihm wurde bewusst, dass er diese einfachen Freuden des Lebens vergessen hatte. Insbesondere wusste er nicht, wie er mit verheirateten Frauen sprechen sollte.
    Charlie hatte seine Vergangenheit, seine ehemals draufgängerische Art hinter sich gelassen, doch einen Neuanfang hatte er noch nicht gewagt. Fast das ganze Jahr 1948, ja im Grunde sogar die ganze Zeit seit dem Ende des Krieges, war
er einfach nur herumgefahren, eine Ziellosigkeit, die ihn schließlich bis hierher nach Brownsburg, Virginia, gebracht hatte, in das Wohnzimmer von Leuten, die er nicht kannte und mit denen er überhaupt nichts zu reden hatte, jedenfalls nichts, was ihm auf dem Herzen lag, und so wäre es ihm auch unmöglich gewesen, ihnen einzugestehen, dass er vergessen hatte, wie schön es sein konnte, andere Menschen, Kinder, um sich zu haben, den Geruch von gutem Essen in der Nase und das Gefühl, ehrliche, warme Herzen in einem sauberen, freundlichen Haus schlagen zu hören.
    Er war es nicht gewohnt, willkommen geheißen zu werden. Er war es nicht gewohnt, dass man ihm andere Gefühle entgegenbrachte als Überdruss oder Angst oder Misstrauen. Auf einmal schüchtern geworden, spürte er, wie er errötete.
    Alma stand nahe bei ihm, unangenehm nahe. Er schaute ihr in die Augen, und sie erwiderte seinen Blick, einen Moment zu lange, aber unerwarteterweise fast zu freundlich. Er wandte den Blick ab.
    Schließlich holte sie ihn in die Wirklichkeit zurück. »Mr. Beale.« Er schaute in ihre grauen Augen.
    »Charlie«, korrigierte er sie. »Bitte.«
    Sie schaute ihn unverwandt an. »Mr. Beale, sind Sie Christ?«
    »Nicht wirklich, Ma’am. Früher ja … aber das ist eine Weile her.«
    »Aber Sie sind ein guter Mensch?«
    »Ich versuche es. Schätze, das weiß man nie, bis es vorbei ist.«
    Sie hob die Hand und berührte ihn ganz leicht am Gesicht, so wie eine blinde Mutter vielleicht das Gesicht ihres einzigen Kindes erkundet. Dabei ließ sie ihn nicht aus den Augen. Er wurde noch röter, und seine Haut fühlte sich heiß
an. Bestimmt hatte sie mit ihrer kühlen Hand diese Hitze gespürt, wie ein Fieber.
    »Er möchte einen Job«, sagte Will.
    Ohne die Augen von ihm zu lassen, sagte sie, über ihre Schulter hinweg: »Natürlich, Will. Natürlich wird er es machen. Du könntest Hilfe gebrauchen. Ich weiß nicht, warum du mich fragen musstest.«
    Sie wandte sich ab, ging in die Knie und nahm den kleinen Jungen in die Arme. »So, und jetzt essen wir.«
    Und so geschah es. Wozu auch immer Will ihre Meinung gewollt hatte, jetzt war alles geklärt.
    Und das war der Beginn der Geschichte.

2. KAPITEL

    C harlie lebte noch immer draußen am Fluss, bis auf die Tage, an denen es regnete und er nach dem Essen bei den Haisletts blieb und in ihrem Gästezimmer übernachtete, gleich neben dem Zimmer des Jungen, der ihm gegenüber noch immer schüchtern war. Manchmal, in den Nächten draußen am Fluss, zog unerwartet ein Gewitter auf, und dann kroch er unter
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