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Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
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»Komm, wir gehen in den Laden und kaufen uns eine Prickelbrause.« Sie war Lehrerin und brachte unbändigen und unwilligen Jungs Latein bei, aber sie sehnte sich nach einer anderen Zeit zurück. Ihr hatte es vor dem Krieg viel besser gefallen. In ihren Augen konnte es keine Veränderung geben, die schneller war als ihr Herzschlag.

    Der Krämerladen lag mitten in einer schmalen und kurzen Reihe von anderen Geschäften: einem Metzger, einem Friseur, einem Eisenwarenladen mit Eimern voller Nägel und Schrauben, einfachem Werkzeug, Draht und Brennholz auf dem Hof. Für alles andere musste man nach Lexington fahren, das zwölf Meilen auf einer zweispurigen Straße entfernt lag. Brownsburg war eine Stadt, in der die Menschen fest damit rechneten, in Ruhe zu leben und zu sterben und irgendwann in den Himmel zu kommen.
    Auf einem Hügel hinter der Stadt gab es eine Schule, die man von der ersten Klasse bis zur Hochschulreife besuchte, zumindest diejenigen, die es so weit schafften. Daneben stand eine kleine, nur dürftig ausgestattete Bibliothek. Dort erzählte meine Mutter ihre Geschichten von Kriegen und Göttern. Arma virumque cano/Troiae qui primus ab oris. Beheizt wurde die Schule mit Holzöfen, und im Winter war es manchmal so kalt, dass die Kinder schulfrei bekamen, selbst wenn es nicht schneite. Anfang Mai war das Schuljahr zu Ende, damit die Kinder auf den Feldern beim Pflanzen helfen konnten.
    Ampeln brauchte man keine. Die wenigen Straßen, die es gab, waren schnurgerade und glatt und führten nicht besonders weit. Niemand fuhr schnell, bis auf die Fremden, die gelegentlich durch die Stadt kamen, weil sie sich auf dem Weg von A nach B verfahren hatten, Menschen, die überallhin wollten, nur nicht nach Brownsburg.
    Es gab zwei Plakatwände, eine an jedem Ende der Stadt. In groben Lettern hieß es da: CHARLIE CARTER KEHRT KAMINE, und darunter: Wartung, Abdichtung, Reparatur. Das war alles. Keine Telefonnummer, keine Adresse, sodass jemand, der nicht wusste, wer Charlie Carter war, auch nicht die geringste Ahnung hatte, an wen er sich wenden sollte,
wenn er einen undichten Schornstein hatte. Doch Charlie Carter wohnte sowieso direkt hinter einer der Werbetafeln, sodass die wenigen Leute, die seine Dienste brauchten, auch keine Schwierigkeiten hatten, ihn zu finden.
    Damals glaubten die Leute hier noch an Gott und die Heilige Schrift. Sie glaubten daran, dass Gottes Wort Fleisch geworden war und unter uns lebte, denn sie hielten es für wahr   – nein, für eine Tatsache, denn die Propheten und Heiligen hatten es direkt von Gott empfangen. Der Glaube der Väter wurde von der Mutter zum Sohn weitergegeben, vom Sohn zu Tochter und Sohn, und es bevölkerte die Städte, die diese erbauten.
    Die Menschen hofften auf ihre eigene Rettung, und sie fürchteten den Ruin ihres Nachbarn.
    Man ließ sich nicht scheiden. Scheidungen gab es in der ganzen Stadt nicht, hatte es nie gegeben. Die Kirche predigte dagegen, und es war einfach nicht üblich.
     
    Die Häuser in Brownsburg schauten mit ihren aufrechten und ehrlichen Fassaden in Richtung Straße. Sie bestanden hauptsächlich aus Backstein oder Schindeln und waren, eins nach dem anderen, vor etwa hundert Jahren errichtet worden. Zur Straße hin hatte jedes von ihnen einen kleinen Garten und nach hinten einen größeren. Diese Gärten waren mit den Jahren zum Austragungsort eines unausgesprochenen, freundschaftlichen Wettbewerbs geworden. Denn in jedem Haus gab es jemanden mit grünem Daumen, und so wollte jeder dieser Hobbygärtner seine Künste unter Beweis stellen, mit Blumen zur Straßenseite und Gemüse nach hinten, die Frauen und Mädchen vorne, die Männer und Jungen an der Gemüsefront, und jedes Jahr trug ein anderer den Sieg davon, ob es nun mit den herrlichsten blühenden
Blumen war oder mit der Anzahl von Einmachgläsern voller Gemüse und Obst, das an heißen Sommertagen eingekocht und später im Winter verspeist wurde.
    Abends saßen die Mütter und Väter auf der Veranda, tranken Eistee und plauderten mit leiser Stimme über die Ereignisse des Tages, während die Mädchen auf dem Rasen saßen und Blütenketten aus Löwenzahn flochten und die Jungs versuchten, Grashalmen zwischen ihren Daumen schrille, einsame Pfiffe zu entlocken. Abends hörte man auch Radio, doch da es nur einen einzigen Sender gab, wurde die Stadt für diese ein oder zwei Stunden zu einer Symphonie in Stereo.
    Damals lebten fünfhundertachtunddreißig Menschen hier, eine Zahl, die sich nur
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