Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein wildes Herz

Ein wildes Herz

Titel: Ein wildes Herz
Autoren: Robert Goolrick
Vom Netzwerk:
selten veränderte, weil sich die Zahl der Geburten mit den Todesfällen die Waage hielt.
    Türen wurden niemals abgeschlossen. Hunde mussten nicht an die Leine. Wenn Schnee lag, fuhren die Kinder auf der Straße Schlitten. Die meisten Männer rauchten, und auch einige der Frauen hatten es sich angewöhnt, während ihre Männer im Krieg waren.
    Die Schwarzen, etwa fünfzig Erwachsene und zwanzig Kinder, lebten in sauberen kleinen Holzhäuschen, die nah beieinander am Rande der Stadt standen, noch nicht ganz vor der Stadt, aber auch nicht mehr drinnen. Die Leute arbeiteten hart, und im Grunde waren sie es, die die Stadt am Laufen hielten, die dafür sorgten, dass die Häuser sauber waren und die Wäsche blütenrein und dass die Felder reichlich Früchte trugen, wofür sie selten ein Wort des Dankes hörten und nur sehr wenig Lohn erhielten. Geld, das sie von Weißen bekamen und in deren Läden wieder ausgaben. Sie hatten ihre eigene Kirche, die sich in die Ladenfront am Ende der Hauptstraße einfügte und wo jede zweite Woche
ein eigens angereister Prediger sie in Gebet und Gesang unterwies, ein Gottesdienst, der von zehn Uhr morgens bis sechs Uhr abends andauerte, mit einer kurzen Mittagspause. Die schwarzen Kinder lernten zu Hause lesen, schreiben und rechnen. Ihr Wissen von der Welt beschränkte sich hauptsächlich auf das, was innerhalb der Stadtgrenzen vor sich ging.
    Niemand machte Urlaub. Auf den Gedanken kam man gar nicht. Wenn man verreiste, fuhr man zu einem Begräbnis, gelegentlich einer Hochzeit oder zu einem Familientreffen.
    Kinder erinnern sich am besten an den Sommer, dessen Genüsse sie auf der Haut spüren. Je älter man jedoch wird, desto mehr sind es die Winter, die im Gedächtnis hängen bleiben und die man in den Knochen spürt. Wenn etwas geschieht, dann im Winter. Die Menschen sterben im Februar.
    Kinder erinnern sich daran, dass sie manchmal lang aufbleiben durften, Erwachsene daran, dass sie beizeiten aufstanden.
    Und so war Brownsburg also eine besondere Stadt zu einer besonderen Zeit und an einem besonderen Ort. Für die meisten Leute dort war »Glück« ein Fremdwort, etwas, über das sie einfach nicht weiter nachdachten, denn das Leben behandelte sie recht gut, und auch wenn es in der Stadt mindestens zwei oder drei Männer gab, die sich jedes Wochenende betranken und ihre Kinder und Frauen verprügelten, und obwohl Kinder, die frech waren oder sich schlecht benahmen, hart bestraft wurden, bedeutete auch das Wort »Unglück« nur für die wenigsten etwas.
    Sie nahmen einfach ihr Schicksal hin, diese gut fünfhundert Männer, Frauen und Kinder, schwarz und weiß. Die
Schwarzen kannten ihren Platz, wie man damals sagte, und auch die Weißen wussten, wo sie standen, und waren mit ihrer Stellung im Prozess der Evolution recht zufrieden. Man ging seinen täglichen Geschäften nach und tat das, was das Leben einem eben abverlangte, und abends saß man auf der Veranda und betrachtete die Berge rund um die Stadt, blau im sommerlichen Zwielicht, und das Licht, das zuerst weiß und dann golden und schließlich rosa wurde. Im finsteren Winter hockte man vor dem Holzofen und hörte Radio, lauschte den traurigen und fröhlichen Liedern der Frauen aus den Bergen und denen der Cowboys aus der Ebene, und dann ging man früh zu Bett.
    Die Menschen gehörten zum Land, diesem ganz besonderen Fleckchen Erde, so wie ihnen ihr Auto oder ihre Teelöffel gehörten.
    Es waren fromme Leute, und ihr Glaube ließ sie all das überstehen, was ihnen widerfuhr, der Glaube und das Land und die Berge, die einen jeden, der sein bescheidenes Dasein inmitten ihrer alten, geschwungenen Hügel fristete, beschützten wie einen Vogel in seinem Nest.
     
    In dem Sommer, in dem Charlie Beale in die Stadt kam, prangte frisches Grün an den Bäumen, die Tage waren heiß und der Regen reichlich. Meistens beklagten sich die Leute über das Wetter, nur nicht, wenn es regnete, denn dann musste man zwar alle nützlichen Tätigkeiten unterbrechen, doch die Leute fanden, der Regen würde dringend gebraucht, auch wenn es erst drei Tage zuvor geregnet hatte.
    Charlie Beale kam von nirgendwoher in die Stadt, und er kam in einem alten, ramponierten Pick-up. Auf dem Sitz neben ihm lagen zwei Koffer. Der eine war aus dünnem Karton, hatte schon allerhand mitgemacht und enthielt
sämtliche Klamotten von Charlie Beale sowie einen Satz Metzgermesser, scharf wie Rasierklingen.
    Der andere war aus Stahlblech und hatte ein Schloss, denn er war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher