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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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zuweilen bewegten sie sich, so als machte sich jemand daran zu schaffen. Ich war gespannt darauf, wer hinter den Stoffmassen erscheinen würde, wenn es ihm endlich gelang, sie beiseitezuschieben. Und schließlich war es der Doktor, im Anzug, den Hut noch auf dem Kopf. Er sah gut aus, seine Mission war offensichtlich erfolgreich gewesen. Die Frau war wieder bei ihm, sie machte sich gleich daran, die Wohnung aufzuräumen. Zwischen den beiden schien Einverständnis zu herrschen, jedenfalls verhielten sie sich friedlich, die Frau nickte oft, wenn er etwas sagte – das hatte sie vorher nie getan.
    Das Verhalten des Doktors mir gegenüber veränderte sich nicht; weiterhin fühlte ich mich missachtet. Ich beobachtete die Frau bei ihren Einkäufen im Basar. Sie war allein unterwegs, ging gebeugt und hielt ihr Kopftuch unter dem Kinn fest zusammen. Gleichwohl fiel sie auf und wirkte verloren zwischen all den Leuten. Immer wieder zuckte sie heftig zusammen, dann hatte sie einer der älteren Männer, die sich an ihr vorbeidrängten, gekniffen. Sie taten das so geschickt und schnell, dass niemand der Umstehenden es sah, und ehe die Frau reagieren konnte, waren sie in der Menge verschwunden. Je öfter das geschah, desto heftiger reagierte sie, schüttelte sich und schlug mit der Hand nach den unsichtbaren Fingern.
    Ich konnte mir gut vorstellen, wie sie sich fühlte, bevor sie morgens zu diesem Gang aufbrach. Aber sie hatten es so gewollt. Ich hätte die Frau beschützen können, dazu war ich da und stand jeden Tag bereit. Im Grunde war es allein der Doktor, der die Frau dieser unangenehmen Situation aussetzte.
    Und noch anderes konnte ich sehen: Hatten sie sich anfangs wieder gut verstanden, so fiel ihnen dies nach und nach schwerer. Die Frau nickte nicht mehr zu allem, sondern winkte ab oder verließ sogar den Raum, während er noch sprach. Das ließ Stein wütend werden, und immer dann hob er die Hände, als flehte er sie an. Dabei aber sprach er so laut, dass ich glaubte, es vom Dach aus durch die geschlossenen Fenster hören zu können. Ich bildete mir das nur ein, doch die Vorstellung amüsierte mich. Jeder im Haus dort drüben musste längst Bescheid wissen über die beiden, und jeder in der Straße ahnte bereits, wie das enden würde.
    Und so kam es dann auch: Eines Morgens blieben die Vorhänge geschlossen und der Doktor erschien nicht im Krankenhaus. Die Geschichte schien sich zu wiederholen, diesmal nahm es jeder ungerührt hin wie ein unabwendbares Ereignis. Die Angelegenheiten des Europäers waren nicht mehr von besonderem Interesse; man hatte sich an ihn gewöhnt.
    Ich aber blieb auf dem Posten. Längst fragte die Witwe nicht mehr, was ich da tat. Ich hatte ihr von Ephraim erzählt, davon, wie ich in letzter Zeit von der Vergangenheit eingeholt wurde. Ich hatte versucht ihr zu erklären, warum mich die Ankunft jenes geheimnisvollen Juden so beschäftigte. Und doch war sie zu dem Schluss gekommen, ich sei verrückt geworden. Darüber hinaus war sie jedoch auch misstrauisch: Bei jedem ihrer Besuche hielt sie mich länger im Bett und reizte mich, bis ich völlig erschöpft war, nur um sicherzugehen, dass ich keine Kraft mehr hatte, um insgeheim diese europäische Hure zu begehren, die sich im Basar Tag für Tag begrapschen ließ, als würde sie davon nicht genug bekommen können. Missmutig, aber zufrieden verließ sie mich, wenn ich, wie immer ohne ein Wort des Abschieds, die Treppe hinaufstieg, um in meinen Wahnideen zu schwelgen.
    Ich aber wartete auf den Augenblick, der mir endlich Klarheit verschaffen würde. Und er kam, als ich kaum noch damit rechnete. Eines Abends waren die Vorhänge geöffnet. Der Doktor erschien wieder am Fenster, er streckte sich, als hätte er lange gelegen, sein Hemd war zerknittert und hing ihm aus der Hose. Zum ersten Mal schaute er aufmerksam herüber, so als suche er den unsichtbaren Beobachter. Ich wusste, dass er mich unmöglich sehen konnte, und dennoch fuhr ich zusammen. Wie peinlich wäre es gewesen, wenn er erfahren hätte, was ich hier seit Wochen trieb; es hätte mich zum Gespött der Nachbarschaft gemacht.
    Er wandte sich um, ich sah den großen Schweißfleck auf dem Hemdrücken. Kurz verharrte der Doktor, dann bückte er sich, verschwand aus dem Blickfeld. Als er wieder erschien, trat er in sehr aufrechter Haltung an das Fenster. Er trug nun eine schwarze Mütze, die über dem Schirm das winzige Emblem zeigte, das ich so gut kannte. Er schaute in die Gasse hinab, wandte den
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