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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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hatte eine der Rosen genommen, wedelte damit und hielt sie sich ab und an unter die Nase. Der Doktor lehnte an der Zimmertür und putzte mit einem Tuch seine Brille. Natürlich hatte sich in der Stadt längst herumgesprochen, dass diese fremde Frau angekommen war und zu ihm gehörte. Doch nur ich wurde Zeuge ihrer Intimität, nur ich sah die Nervosität des Doktors, die Unsicherheit eines älteren Mannes, der lange allein gewesen war. Und ich konnte in Ruhe diese Frau mit ihrem schmalen, ausgezehrt wirkenden Gesicht betrachten, die sich benahm, als würde sie gleich wieder gehen wollen. Vielleicht ist sie seine Tochter, kam es mir in den Sinn, doch gleich darauf setzte sich der Arzt die Brille auf, steckte das Tuch umständlich in die Hosentasche und umarmte die Frau vorsichtig und dennoch etwas zu heftig. Als sie sich küssten, wandte ich den Blick ab.
    Die Frau blieb bei dem Doktor. Sie wartete an den Abenden auf ihn. Ich hörte die Leute über sie reden, der übliche Klatsch, mit dem Unterschied, dass er nicht frech offen ausgetauscht wurde, sondern hinter vorgehaltener Hand. Schließlich handelte es sich um Ausländer, da kann man nie wissen.
    Einmal kam sie zum Krankenhaus, wahrscheinlich, um die Arbeitsstätte ihres Mannes zu besichtigen. Sie trug ein Kopftuch, ich erkannte sie erst, als sie an mir vorbeiging und im Gebäude verschwand. Aufgeschreckt wanderte ich umher, bis sie endlich wieder herauskam. Möglicherweise wollte sie meine Dienste in Anspruch nehmen. Am Arm des Doktors trat sie in den Hof, von der Mittagssonne geblendet beschirmte sie die Augen. Ich eilte zu ihnen, doch Stein hob sogleich die Hand. Er blickte mich nicht einmal an, wischte den Boten nur fort wie eine lästige Fliege.
    Wütend blieb ich zurück und sah die beiden in Richtung Ausgang gehen. Ich war nun sicher, dass der Doktor speziell mich nicht als Boten wollte, weder für sich noch für seine Frau. So blieb mir nichts, als die beiden voller Ingrimm weiterhin zu beobachten.
    Schon nach wenigen Tagen wurde die Sache interessant. Hinter dem Fenster in einigen Metern Entfernung standen sich die Frau und der Doktor gegenüber und redeten aufeinander ein. Immer wieder hob der Arzt die Hände, wie um etwas Unsichtbares abzuwehren. Sie hingegen hielt sich kerzengerade. Ihr dunkelblondes Haar war so offensichtlich ungepflegt, als wollte sie ihn mit ihrem Anblick erschrecken. Der Streit währte lange. Der Doktor machte mehrere Schritte rückwärts, um sogleich, die Hände voraus, wieder vorzustoßen. Er wollte die Frau packen und wagte es dann doch nicht. Schließlich löschte einer von beiden das Licht. Sekundenlang blieb es dunkel. Plötzlich aber war das Fenster wieder hell erleuchtet, die Frau hastete hilflos durch den Raum.
    Ich empfand Genugtuung darüber. Als ich die Leiter hinabstieg, fragte ich mich, warum dem Doktor gelingen sollte, was mir verwehrt blieb: Ein normales Leben führen, als wäre nichts geschehen. Ich saß noch lange im dunklen Zimmer und dachte darüber nach, ob ich dem anderen das Unglück wünschen sollte. Wäre es nicht besser, wie dieser auf einen Neuanfang zu hoffen, anstatt wie ich in der Nacht zu hausen wie ein hässliches Tier unter der Erde?

3.
    W enige Tage später war die Frau verschwunden. Ich be-
merkte es an der Stille. Kurz vor dem Abendgebet hatte sie gewöhnlich das Geschirr gespült. Sie tat das am Wasserhahn im Hof gegenüber so geräuschvoll, man fragte sich, ob sie zornig oder nur achtlos war.
    Auch zog der Doktor von nun an abends die Vorhänge zu. Es blieb nur ein schmaler Spalt, durch den ich zuweilen seinen Schatten auf und ab gehen sehen konnte. Tagsüber im Krankenhaus wirkte er unverändert, aber an den Abenden fand er keine Ruhe mehr.
    Ich starrte auf die gelbbraunen Vorhänge und wartete, bis das Licht gelöscht wurde. Das geschah mit jedem Abend immer früher, und ich vermutete, dass er danach im Dunkeln saß, so wie ich es manchmal tat.
    Als Dr. Stein einmal plötzlich die Vorhänge aufzog und im hell erleuchteten Fenster stehenblieb, erschrak ich dermaßen, dass ich fast das Teeglas fallen gelassen hätte. Er sah blass aus, die Hemdsärmel waren hochgekrempelt und die Knöpfe vorn so weit geöffnet, dass seine nackte, grau behaarte Brust zu sehen war. Um den linken Arm, oberhalb des Ellenbogens, schlang sich ein Lederriemen, und wieder durchfuhr mich der heiße Schrecken des Wiedererkennens. Er nimmt das Zeug noch immer, dachte ich, und vielleicht ist er ja nur deshalb hier, fern von
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