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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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kurz die Köpfe, um sich sogleich wieder in ihre Zeitungen zu vertiefen. So wandte auch ich mich ab, nachdem ich mit einem Anflug von Grauen festgestellt hatte, dass ich nicht einmal entscheiden konnte, ob es sich um Männer oder Frauen handelte.
    Der Weg war leicht zu finden, neugierig musterte ich die Gebäude zuseiten der Gassen, und als ich vor dem Taschenbergpalais stand, verschnaufte ich kurz, bevor ich jemanden nach der Hausnummer drei fragte. Die ältere Dame trug ein unter dem Kinn verknotetes Kopftuch und blickte mich entgeistert an. Ihre Augen kamen nicht zur Ruhe, suchten in meinem Gesicht nach etwas Vertrautem. Schließlich zeigte sie mir den Weg, wollte schon weitergehen, wandte sich dann aber noch einmal an mich:
    »Haben Sie diese Leute gesehen?« Sie wies in Richtung der Straßenbahngleise.
    »Jeder hat sie gesehen«, antwortete ich.
    Sie schüttelte den Kopf und streckte die Hand nach mir aus, beinahe hätte sie meinen Arm berührt.
    »Gehen Sie doch endlich, was tun Sie noch hier?«
    Verblüfft und sprachlos hob ich nur die Schultern.
    »Schaut doch, wie es euch ergangen ist, was wollt ihr noch hier? So viel Unglück ist über uns gekommen. Geht doch einfach alle fort.«
    »Ich bin kein Jude«, beteuerte ich hilflos.
    »Es ist genug«, sagte sie beschwörend, »es muss einmal aufhören.«
    Allmählich wurde sie mir unangenehm, ich ließ den Abstand zwischen uns größer werden, sagte Danke und Auf Wiedersehen und eilte davon.
    Es war ein prächtiger Aufgang mit einem kleinen Vorhof, die Fensterfront jedoch wirkte abweisend leer und die Eingangstür ließ sich nicht öffnen. Schon fürchtete ich, zu spät gekommen zu sein, stand verloren im Hof und fragte mich, ob ich zum Städtischen Krankenhaus zurückgehen sollte, da öffnete sich die Tür und ein Mann in dickem Wollmantel und mit sorgfältig gebundenem Turban trat heraus. Er winkte mich zu sich, ich ging auf ihn zu und nur langsam, mit jedem Schritt ein wenig mehr, begriff ich, dass tatsächlich Abu Hashim vor mir stand. Er aber hob die Hand, als ich bei ihm war.
    »Wer bist du?«
    Ich sagte es ihm, doch er schüttelte den Kopf.
    »Warte hier.«
    Er schloss die Tür und obwohl ich nun ein neues Problem hatte, war meine Erleichterung unbeschreiblich, der Anblick des Sekretärs wie ein Vorgeschmack auf die Heimat. In Begleitung des finsteren Musa kam Abu Hashim zurück und sagte:
    »Er behauptet, Anwar zu sein.«
    Der Leibwächter kratzte sich den Bart, seine kleinen schwarzen Augen musterten jeden Zentimeter meines Gesichtes. Plötzlich packte er mich an den Handgelenken und zog sie zu sich. Er hob meine Hände und drehte sie vor seinen Augen, bis er sie schließlich losließ und sagte:
    »Er könnte es sein.«
    In den Klassenräumen der Mullah-Schule lagen verschnürte Kartoffelsäcke auf den Tischen neben Papierstapeln und Büchern. Eine Vitrine voll verschiedener Ausgaben des Koran stand offen, die Schultafel war sauber gewischt. In einer Reihe lehnten zusammengerollte Gebetsteppiche an der Wand. Abu Hashim servierte Tee, der mir sehr wohltat. Ich wunderte mich ein wenig, dass er hier mit Musa allein war und er erklärte mir, selbst das sei nur ein Zufall, weil sie längst hätten fort sein wollen. Jetzt erwarteten sie noch eine wichtige Person, die uns allen weiterhelfen konnte.
    Als der ältere Mann den Raum betrat, erkannte ich ihn nicht sogleich. Erst nachdem er den Mantel abgelegt und mich bemerkt hatte, kramte ich die Erinnerung an ihn hervor. Er ähnelte nicht mehr so sehr Errol Flynn, obwohl er immer noch jene etwas ausgefallene Kleidung trug, elegant und unzeitgemäß zugleich.
    »Noch einer mehr?«, sagte er. »Wer bist du?«
    Ich stellte mich vor und erklärte ihm, dass wir uns schon einmal begegnet seien und zwar in Bagdad bei den Offizieren.
    Der Mann runzelte die Stirn und schüttelte den Kopf. Sein Schnauzbart war noch dünner und seine Haut hell geworden.
    »Das Edelweiß«, sagte ich, »von dort, wo der Adler nistet.«
    Er blickte mich mit großen Augen an und brauchte eine Weile, bis ihn der leise Schrecken des Erinnerns durchfuhr.
    »Mein Gott«, sagte er, »das ist doch nicht möglich.«
    Freudig und entsetzt zugleich schüttelte er meine Hand und betrachtete dabei mein Gesicht so eingehend, dass es mir unangenehm war.
    »Es kommt mir wirklich vor, als wäre das eine Ewigkeit her«, sagte er.
    Etwas später traten Mr. Otto und Abu Hashim zu mir ans Fenster. Wir blickten hinaus auf die vor dem Hofeingang vorübereilenden
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