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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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wurden wir schließlich angehalten, wer gehen konnte, hatte den Transporter zu verlassen. Draußen sah ich, dass unser Geleitschutz fort war. Die Fahrer stiegen aus, warteten auf den Doktor und sprachen schließlich alle drei auf den Posten ein, der frierend von einem Bein auf das andere trat. Ich schlich an die steinerne Brüstung und konzentrierte mich ganz auf den Anblick der Altstadt. Wie ein riesiges Schiff lag sie da mit ihren dunklen Türmen und Aufbauten, wehrhaft und einladend zugleich, geheimnisvoll und festlich und doch so dicht gepackt, als hätten sie viele eifrige Hände auf einem Tisch errichtet.
    »Das da«, sagte der Doktor, als er zufrieden zurückkam, »ist die Semperoper und dort gleich ist der Zwinger. Dresden ist eine Perle, man nennt es das …, schon gut, damit kannst du nichts anfangen.«
    Wir saßen wieder auf und durften weiterfahren. Ich streckte den Kopf hinaus, um mehr von der Stadt sehen zu können. Mächtige bärtige Krieger aus Stein bewachten ein Tor, bereit, jeden Moment aus der Wand zu steigen und gen Osten zu ziehen. Als mir der Doktor mitteilte, wir führen ins städtische Krankenhaus in der Friedrichstadt, sah ich gerade noch ein Gebäude, das mir das Herz erwärmte. Ich fragte mich, wie es möglich sein konnte und warum ich in Berlin nie darüber hatte reden hören: Es musste hier sehr viele Muslime geben, denn vor meinen Augen erhob sich ein islamischer Bau mit hohem Minarett und prächtiger Kuppel. Ich fragte den Doktor, ob ich Zeit haben würde, in die Moschee zu gehen, doch der lachte nur.
    »Das würde ich dir nicht raten. Es ist eine Tabakfabrik.«
    »Nein, es muss eine Moschee sein«, sagte ich, weil ich es mir wünschte.
    »Glaub mir, es ist eine Täuschung. Nicht einmal der Tabak dort ist morgenländisch. Da hatte nur jemand einen ausgefallenen Geschmack. – Aber wenn wir im Krankenhaus sind, kann ich dich vielleicht mit ein paar von deinen Leuten zusammenbringen. Schultheiss wusste da etwas. Auch für dich wird es Zeit, nach Hause zu gehen.«
    Dieser letzte Satz beschäftigte mich. Ich hatte den Gedanken an eine Rückkehr einfach wieder vergessen, obwohl er mir doch so wichtig erschienen war. Offensichtlich ging es mir schon wieder zu gut.
    Das Krankenhaus war eine Ansammlung alter Häuser, die einen weiten Park umstanden. Die Anlage wirkte weniger majestätisch als verspielt und man dachte hier eher an Spaziergänger als an Patienten. Es war mir recht, im verschneiten Park zu warten, bis der Doktor zurückkommen würde. Unsere Verwundeten schleppten sich ins Hauptgebäude, dort herrschte reger Betrieb und davor standen in Reihen die Sankras unter kahlen Bäumen. Ich hatte viel Zeit und fragte mich, wie es Hermann wohl ergangen war, falls er noch lebte. Hier, in diesem Park, hätte ich ihn treffen müssen, hier hätte er Mut schöpfen und wieder klug daherreden können wie damals in Berlin.
    Ich ging zur Einfahrt und schaute einer vollbesetzten Straßenbahn nach. Die Leute lasen Zeitungen und unterhielten sich, ein paar ältere Männer schleppten Säcke, Balken und Steine den schmalen Gehweg entlang. Krähen saßen auf der Mauer gegenüber und ihr Krächzen klang friedlich, so als würden sie die Straßenszene kommentieren.
    »Das ist die Adresse«, sagte der Doktor, als er wieder herauskam, und hielt mir einen Zettel hin. »Du gehst zum Zwinger und dann hinüber zum Schloss. Jeder kann dir den Weg zeigen. Es ist eine Mullah-Schule. Bis vor Kurzem waren die Lehrer noch da. Versuche jemanden zu finden, der dir weiterhilft. Sei nicht schüchtern; die SS sollte schon weg sein. Beeil dich.«
    Ich steckte den Zettel ein und kurz standen wir voreinander und wussten nicht, was wir sagen sollten. Doch der Doktor war schon wieder nervös, seine Stirn umkränzten kleine helle Schweißtropfen.
    »Viel Glück«, stieß er hastig hervor und gab mir die kalte Hand.
    Auf meinem Weg in die Altstadt zurück strömten mir so viele Menschen entgegen, dass ich taumelte. Stündlich kamen mehr von den Flüchtlingen an, die wir auf der Fahrt hierher hinter uns gelassen hatten. Auch eine Kolonne von KZ lern schleppte sich mitten durch die Stadt. Alle ließen die unförmig großen Köpfe hängen, als zählten sie ihre Schritte, und ihre Bewacher behielten die Leute auf den Straßen im Blick. Jeder Passant wahrte Abstand zu diesem elenden Haufen, und im Vorbeigehen schaute sie niemand auch nur an. Als sie ein Gleis überquerten, hielt dicht vor ihnen eine Straßenbahn. Die Insassen hoben nur
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