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Ein weißes Land

Ein weißes Land

Titel: Ein weißes Land
Autoren: Sherko Fatah
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Fladenbrot kümmern, er drohte auseinanderzufallen. Dann gab es da noch die Hausarbeiten für die Schule. Mit all dem hatte ich zu tun bis zum späten Abend.
    Als ich das Hoftor hinter mir schloss, um zum Markt zu gehen, verharrte ich kurz. Durch die Gitterstäbe blickte ich auf das Haus meiner Kindheit. Ich betrachtete den engen Hof, die von Sprüngen durchzogenen Steinfliesen des Bodens, die Mauern, in deren Fugen der Sand klebte, als wollte er den fehlenden Putz ersetzen. Da waren die drei steinernen Stufen, die ich so oft schon mit einem Sprung genommen hatte, und darüber die schief sitzende Küchentür mit dem durchlöcherten Fliegendraht und dem Bündel getrockneter Blumen, das jemand dort aufgehängt hatte. Die langen Stiele und die Blüten hatten längst die Farbe des Sandes angenommen, der Wind hatte den Strauß verformt; wie ein großes Insekt klebte er an der Tür. Dahinter lagen die dunklen Räume des Hauses, wie Schubfächer kamen sie mir vor, Schubfächer in einem alten Schrank, den man nicht mehr öffnen mag. Plötzlich erschien meine Tante am Fenster und gab mir mit einer Handbewegung zu verstehen, ich solle mich endlich auf den Weg machen. Ich gehorchte, noch bevor ich auch sie einfügen konnte in das ernüchternde Bild vor meinen Augen.

2.
    W as nützt all der Heldenmut?«, hörte ich Mirjam sagen.
    Ich sah sie zum ersten Mal, als sie diesen Satz selbstbewusst an die sie umstehenden Jungen gerichtet aussprach. Es schien ihr nichts auszumachen, dass ihr Schultertuch auf der einen Seite bis zum Boden hing, während sie nervös rauchte und gestikulierte.
    Ich war gebannt von ihrem Anblick. Eine Frau wie sie hatte ich noch nicht gesehen. Sie trug keine Abbaja, sie verhielt sich, als wäre sie zu Hause im Kreis ihrer Familie, und noch dazu blickte sie jeden, der in ihrer Nähe stand, offen und herausfordernd an.
    »Das ist sie«, sagte Ezra und ich nickte nur hastig, bevor ich leise wiederholte:
    »Das ist sie.«
    »Brauchst keine Angst zu haben.« Er blickte grinsend hinüber zu Mirjam. »Sie fühlt sich nur wieder einmal ziemlich wohl hier.«
    Ezra tat einen raschen Schritt und rief seiner Schwester zu: »Es ist schön, dass du beides kannst: diskutieren und aufwischen.«
    Mirjam zuckte zusammen und zog ihr Tuch zurecht. Gleich darauf aber warf sie den Kopf in den Nacken.
    »Lass mich bloß in Ruhe, du … «
    Ich sah ihre dunklen Augen und für einen Moment die weiß schimmernden Zähne.
    »Habt ihr Streit?«, fragte ich.
    »Nein«, sagte Ezra, »sie ist immer so.«
    Ich ließ den Blick schweifen. Nie hätte ich mich in dieses Café am Rande eines der Parks von Bataween verirrt. Nicht einmal gehört hatte ich davon. Eine unsichtbare Mauer schien den grünen Bezirk Bagdads zu umgeben. Sie sorgte dafür, dass jeder, der nicht hierhergehörte, dieser Gegend fernblieb. Einmal da, wunderte ich mich, wie leicht der Weg zu finden gewesen war.
    Ezra hatte mich am Nachmittag nicht abgeholt, sondern mir auf dem Weg zum Basar aufgelauert. Und nur ein Gedanke war es, der mich bis jetzt beschäftigt hatte: Was nur konnte Ezra von mir wollen? Er schien mir nichts zu sagen zu haben, spazierte nur neben mir her und plauderte vor sich hin.
    Als wir in der Dämmerung unter den Bäumen des Parks gingen, war ich kurz sicher gewesen, den Grund für Ezras Auftauchen zu kennen. Ganz gewiss wollte er mich vor seinen Freunden lächerlich machen. Schon ein Vergleich unser beider Kleidung zeigte den Unterschied. Und Ezra konnte es sich leisten, für einen Scherz dieser Art einen Nachmittag und einen Abend zu opfern. Und doch war ich mitgegangen, hatte so getan, als wäre ich gespannt auf das Café, das Ezra immer nur »die Bar« nannte. Der Stolz hatte sich in mir geregt, und das Bewusstsein dieses Stolzes machte mich abenteuerlustig. Was konnte mir dieser reiche Jude schon anhaben. Mochte er klüger und weltgewandter sein; er würde sich selbst bloßstellen in dem Moment, da er mich vorführte.
    Doch es kam anders. Ezra holte für uns beide Limonade und schien ganz zufrieden damit, mich hergebracht zu haben.
    »Wolltest du mir deine Schwester zeigen?«, fragte ich unvermittelt.
    Er lachte auf und griff sich ans Kinn. »Du bist ziemlich frech für einen Neuen. Was denkst du … «
    Er wandte sich an Mirjam.
    »Komm mal her«, rief er, »der junge Herr hier glaubt, ich will dich ihm anbieten. Und jetzt bin ich mir nicht so ganz sicher. Was sagst du dazu?«
    Mirjam war verstummt und starrte herüber. Langsam zog sie das Tuch
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