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Ein verruchter Lord

Ein verruchter Lord

Titel: Ein verruchter Lord
Autoren: Celeste Bradley
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Treppenstufe auf und schaute ihn mit den ihm so vertrauten blauen Augen an. Konnte Amaryllis diese Nacht vergessen haben?
    Diese Nacht, die ihm so viel bedeutete, an der er sich all die Jahre festgehalten hatte, weil er sich damals für einen kurzen Moment lebendig fühlte. Diese eine Nacht, in der die Welt nicht kalt und grau und trostlos erschien.
    Oder hatte sie vielleicht nie existiert? War alles nur ein Traum- und Trugbild gewesen? Es gab keine Beweise, und selbst seine Erinnerungen waren ihm inzwischen suspekt. Er hatte sich an ein Mädchen erinnert, das vermutlich bloß ein Produkt seiner eigenen Wünsche, seiner Träume und seiner Fantasie war.
    Wie Amaryllis das Kind angesehen hatte! Wie eine peinliche, nicht akzeptable Spezies, die sie im nächsten Augenblick mit schmierigen Pfoten anspringen und ihr Kleid ruinieren würde. Nein, Amaryllis war keine Mutter. Und damit er kein Vater und Melody nicht das Produkt einer magischen Begegnung. Sie war wieder nichts anderes als ein anonymes, verlorenes Findelkind, ausgesetzt auf der Treppe eines vornehmen Herrenclubs mit einer kryptischen, an den Mantel gehefteten Nachricht.
    In trübe Gedanken versunken nahm Jack Melodys kleine Hand und ging mit ihr den Flur hinunter zu der breiten Eingangstür. Eine dunkel gekleidete Gestalt kam ihnen entgegen. Jack bemerkte sie erst, als sie ihr Buch fallen ließ. Höflich hob er es auf und gab es ihr zurück, war dann mit seinen Gedanken aber schon wieder ganz woanders.
    Wie um alles in der Welt sollte er es Colin und Aidan beibringen, dass das kleine Mädchen, das sie so sehr liebten, zu keinem von ihnen in irgendeiner Beziehung stand?
    Miss Laurel Clarke trug die schwarze Trauerkleidung nicht wegen ihrer verstorbenen Eltern, denn die hatte sie zu hassen gelernt. Das Leben der unverheirateten jungen Frau, die bei ihrer wohlhabenden, gut verheirateten Schwester lebte, war mit einem Makel behaftet. Jetzt blickte sie dem Mann und dem Kind hinterher, die soeben das Herrenhaus verließen. Ihre zitternden Hände hielten das Buch so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten.
    Sie hatte den Eindruck, als habe die Welt mit einem Mal eine vollkommen neue Gestalt angenommen.
    Erinnerungen. Angst. Schmerz. Dann endlich der winzige, wütende Schrei. Die Hebamme, die ihr nicht in die Augen schauen wollte.
    Eine Totgeburt. Armes kleines Ding. Das kommt vor.
    Sie musste sich damit abfinden, doch in Wahrheit war es nur ein halbes Leben. Erst der Weggang von Jack Redgrave, den sie als Verrat empfand, dann die Grausamkeit ihrer Familie und schließlich der Verlust ihres Kindes. Dieser Kummer war der größte von allen gewesen.
    Und jetzt tauchte er hier auf mit einem Kind und war einfach an ihr vorbeigegangen, als würde sie nicht existieren. Sie sah, wie er vor der Kleinen niederkniete. » Es sieht nach Regen aus « , sagte er leise. » Ist dein Mantel zugeknöpft? « Er erhob sich und streckte dem Mädchen die Hand hin. » Komm, Melody. «
    Blaue Augen.
    Melody.
    Genau wie ihre Tochter.
    Melody.
    Das Kind, das angeblich tot geboren wurde.
    » Aber ich habe sie weinen gehört. « Die Worte entschlüpften Laurels Lippen. Obwohl nur ein Flüstern war es für sie wie ein Schlachtruf oder wie die letzten trotzigen Worte einer zum Tode verurteilten Gefangenen.
    Sie hatte einen Schrei gehört. Und an diesen Schrei geglaubt. Deshalb gab sie ihrem Kind einen Namen, trotz aller Streitereien und allem Gerede von Totgeburt.
    Melody.

Zweites Kapitel
    Sobald ihre Erstarrung gewichen war, rannte Laurel John Redgrave und dem kleinen Mädchen nach, doch die Kutsche mit dem Strickland-Wappen war bereits den halben Weg die Auffahrt hinunter. Unmöglich, sie noch zu erreichen. Zwei Rappen trabten eilig davon, und mit jeder Umdrehung der Kutschenräder entfernte sich ihr Kind erneut weiter von ihr.
    Trotzdem erfüllte sie unbändige Erleichterung und Freude. Jetzt wusste sie zumindest, dass ihre Tochter lebte. Doch im gleichen Moment flammte heiß und lodernd Zorn in ihr auf wie eine Feuersbrunst.
    Er hat sie mir genommen.
    Erst kompromittierte er sie und ließ sie im Stich, dann stahl er ihr Kind, während sie all die Jahre in dem Glauben gelassen wurde, dass es tot sei! Dieser schreckliche Verlust! Das Meer von Tränen, die sie weinte, die Monate und Jahre voll schmerzender Leere seitdem. Die quälende Erkenntnis, ganz allein zu sein, niemals jemanden zu lieben oder zu jemandem zu gehören, und schließlich das Wissen, dass der Rest ihres
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