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Ein verhängnisvolles Versprechen

Ein verhängnisvolles Versprechen

Titel: Ein verhängnisvolles Versprechen
Autoren: H Coben
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dir dann als Erstes in den Sinn?«
    »Wärme«, wiederholte Myron.
    Aber dieses Mal wusste er, dass er log.
     
    Sechs Jahre.
    So lange war es her, seit Myron zum letzten Mal den Superhelden gespielt hatte. Sechs Jahre lang hatte er nicht ein einziges Mal zugeschlagen. Er hatte keine Pistole in der Hand gehabt, von Abfeuern ganz zu schweigen. Er hatte niemanden bedroht und war nicht bedroht worden. Er hatte sich keine Wortgefechte mit irgendwelchen anabolikagemästeten Schleimbeuteln geliefert. Er hatte Win – immer noch der furchteinflößendste Mensch, dem er je begegnet war – nicht angerufen und aufgefordert, ihn aus der Bredouille zu holen. In den letzten sechs Jahren war keiner seiner Klienten ermordet worden – was in seiner Branche eindeutig positiv zu bewerten war. Niemand hatte eine Kugel abbekommen, niemand war festgenommen worden – na ja, abgesehen von der Prostitutions-Sache in Las Vegas, was Myron aber immer noch für eine Falle hielt. Von seinen Klienten, Freunden oder Geliebten war keiner plötzlich verschwunden.
    Er hatte seine Lektion gelernt.
    Steck deine Nase nicht in fremder Leute Angelegenheiten. Du bist nicht Batman, und Win ist kein durchgeknallter Robin. Natürlich hatte Myron in seinen quasi-heldenhaften Tagen mehrmals Unschuldigen das Leben gerettet, darunter auch seinem eigenen Sohn. Jeremy war inzwischen neunzehn – Myron fand das selbst unglaublich – und diente beim Militär an irgendeinem geheimen Ort im Nahen Osten.
    Doch Myron hatte auch Schaden angerichtet. Man brauchte sich nur anzusehen, was mit Duane, Christian, Greg, Linda und
Jack passiert war … Aber vor allem ging Myron Brenda nicht aus dem Kopf. Er besuchte ihr Grab immer noch viel zu häufig. Er konnte nicht sagen, ob sie vielleicht auch ohne sein Zutun gestorben wäre. Vielleicht war es gar nicht seine Schuld gewesen.
    Der Erfolg nutzt sich mit der Zeit ab. Die Verwüstung – die Toten  – bleiben bei dir, klopfen dir immer mal wieder auf die Schulter, bremsen dich aus und verfolgen dich im Schlaf.
    Seinen Heldenkomplex hatte Myron jedenfalls begraben. In den letzten sechs Jahren war sein Leben ruhig, normal, durchschnittlich, ja langweilig verlaufen.
    Myron spülte die Teller ab. Er lebte zum Teil in Livingston, New Jersey, nicht nur in derselben Stadt, sondern sogar in demselben Haus, in dem er aufgewachsen war. Seine Eltern, Ellen und Alan Bolitar, die er sehr liebte, waren vorfünf Jahren ins Vaterland ihres Volks zurück gezogen (also nach Süd-Florida). Myron hatte das Haus aus zwei Gründen gekauft: Als Investition, die sich schon bezahlt gemacht hatte, und damit seine Eltern ein Zuhause hatten, wenn sie in den heißen Sommermonaten wieder zurückkamen. Myron verbrachte etwa ein Drittel seiner Zeit in diesem Vorort-Haus und die anderen zwei Drittel in Wins Gästezimmer in dessen Wohnung im berühmten Dakota-Haus am Central Park West in Manhattan.
    Er dachte an den nächsten Abend und seine Verabredung mit Ali. Win war ein Idiot, das stand außer Zweifel, aber wie üblich hatte er mit seiner Frage einen Treffer, womöglich sogar einen Volltreffer gelandet. Die Sache mit dem Aussehen konnte man vergessen. Das war absoluter Quatsch. Genau wie die Geschichte mit dem Heldenkomplex. Darum ging es nicht. Aber irgendetwas bremste ihn, und das hatte tatsächlich etwas mit dem Unglück zu tun, das Ali widerfahren war. Sosehr er es auch versuchte, er kam nicht dagegen an.
    Was den heldenhaften Auftritt Aimee und Erin gegenüber betraf, als er ihnen das Versprechen abnötigte, ihn jederzeit anzurufen
 – das war etwas ganz anderes. Die Pubertät ist für jeden Menschen eine sehr schwierige Zeit, ganz egal, wie gut man aussieht oder wie beliebt man ist. Die High School ist Kriegsgebiet. Myron war bei seinen Mitschülern beliebt gewesen. Er war ein Vorzeige-Basketballspieler in der Schüler-Nationalmannschaft gewesen, einer der besten Spieler des Landes, und, um ein beliebtes Klischee zu bedienen, dabei auch noch ein wirklich guter Schüler. Wenn einer ohne Probleme durch die High School kommen müsste, dann doch wohl jemand wie Myron Bolitar. Aber selbst ihm war das nicht gelungen. Im Endeffekt übersteht niemand diese Zeit, ohne dass ein paar Narben zurückbleiben.
    Man muss die Pubertät einfach nur überleben. Mehr nicht. Es geht nur ums Durchkommen.
    Das hätte er den Mädchen vielleicht sagen sollen.

4
    Am nächsten Morgen machte Myron sich auf den Weg zur Arbeit.
    Sein Büro lag im zwölften Stockwerk
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