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Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Titel: Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
Autoren: Y.S. Lee
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seit einiger Zeit beobachtet. Eine von ihnen kennst du, es ist nämlich die Aufseherin im Old Bailey; eine weitere hat dich während der Wochen vor deiner Verurteilung im Gefängnis von Newgate im Auge gehabt. Beiden ist deine Intelligenz aufgefallen. Was sie auch beeindruckt hat, ist, dass du dich schuldig bekannt hast. Die meisten, denen ein Kapitalverbrechen zur Last gelegt wird, beharren auf ihrer Unschuld, ob es stimmt oder nicht. Du nicht. Warum nicht, Mary?«
    Nach einer Pause zuckte Mary erneut die Schultern. »Vielleicht, weil ich es satthatte.«
    Anne Treleavens Augen blitzten auf. »Zu lügen?Zu stehlen?« Sie füllte Marys Glas auf und reichte es ihr. »Oder hattest du das Leben satt?«
    Das Aufflackern in Marys Augen kam dem vollen Geständnis eines weniger hartgesottenen Mädchens gleich.
    »Für jemanden, der noch so jung ist, hast du dich überraschend leicht mit dem Tod abgefunden.«
    »Zwölf Jahre, das reicht mir jetzt«, sagte Mary. Wohlmeinende Fremde   – vor allem Frauen   – versuchten ständig, sie zu tränenreichen Bekenntnissen über ihr leidgeprüftes Leben zu bewegen. Seit Jahren war sie nicht mehr auf diesen Quatsch hereingefallen.
    Anne Treleaven zog eine ihrer feinen Augenbrauen hoch. »Genau das hat meine Kollegin vermutet und deshalb haben wir dich hierhergeholt: in der Hoffnung, dass du die Aussicht auf eine andere Art von Leben vielleicht erträglicher findest.«
    »Als braves kleines Dienstmädchen, ein Mädchen für alles, meinen Sie? Damit feine Damen sich daran ergötzen können, mich zu schlagen, und das für acht Pfund im Jahr?« Sie spuckte auf den Teppich. »Nicht mit mir.«
    Anne Treleavens Ausdruck wurde härter. »Nein, Mary, nicht dafür. Das auf keinen Fall.«
    »Dann sind Sie wohl verrückt. Sonst kommt doch nichts infrage. Nicht für so eine wie mich.«
    »Da täuschst du dich.«
    »Tatsächlich?«
    »Du bist klug, Mary. Und entschlossen. Und ehrgeizig. Es gibt ein paar Berufe, die Frauen offenstehen;darunter könntest du dir jeden auswählen.« Anne Treleaven schwieg und neigte den Kopf zur Seite. »Und Frauen von außergewöhnlichem Talent stehen noch ein oder zwei andere Möglichkeiten offen   … aber davon zu reden wäre gewissermaßen, nun, sagen wir, voreilig.«
    Absurd. Eine zweite Chance, das gab es doch nicht   – für keinen. So viel hatte Mary immerhin begriffen. Ach herrje   – stieg ihr dieses unerwartete Lob schon zu Kopf? »Was führen Sie im Schilde?«, wollte sie wissen.
    Auch diese Frage, diese erneute Ungezogenheit schien Anne Treleaven nicht zu überraschen. »Wie ich dir bereits auseinandergesetzt habe, ist es unser Ziel, Mädchen zu einem unabhängigen Leben zu verhelfen. Zu viele Frauen sehen sich dazu gezwungen zu heiraten; einer noch größeren Anzahl von Frauen bietet sich nicht mal diese Chance, und sie wenden sich der Prostitution oder gar Schlimmerem zu, um durchzukommen. Wir sind der Ansicht, dass eine gute Ausbildung unsere Zöglinge befähigt, für sich selbst zu sorgen.« Sie machte eine Pause. »Nicht alle unsere Schülerinnen sind erfolgreich. Nur wenige Berufe stehen Frauen offen, was die Sache schwierig macht. Manche Mädchen ziehen es auch vor zu heiraten, statt hart arbeiten zu müssen. Ihnen ist nicht klar, dass die Ehe mit einem rohen Unmenschen oder einem Trinker belastender ist, als zu arbeiten. Aber jede wählt ihren Weg. Wir können unseren Schülerinnen unsere Ansichten nicht aufzwingen.
    Nun, ich schweife ab. Meine Mitarbeiterinnen sind überzeugt, dass du deine Selbstständigkeit liebst und den Wunsch hast, deinen eigenen Weg in der Welt zu suchen. Du bist es gewohnt, Entscheidungen zu treffen und für dich selbst zu sorgen. Hier an unserem Institut können wir dir eine bessere Chance bieten, diese Unabhängigkeit zu erlangen. Wir können dir helfen, deinem Leben als Diebin zu entkommen   – dich neu zu erfinden, wenn man so will. Dir eine Chance bieten, deine Aussichten zu verbessern   … so zu werden, wie du vielleicht geworden wärst, wenn das Schicksal dir von Anfang an gnädiger gewesen wäre.«
    Mary schluckte heftig. Was Anne Treleaven da vor ihr ausbreitete, war unerhört   – eine schwindelerregende, ganz unrealistische Offenbarung. Wie war es möglich, dass sich ihre Gefühle so rasch ins Gegenteil verkehrt hatten? Vor fünf Minuten noch hatte sie die Frau verflucht, die sie dem Gefängnis und der Gewissheit des Todes entrissen hatte. Jetzt hatte sie Angst, dass all diese glühenden
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