Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I

Titel: Ein verhängnisvoller Auftrag Meisterspionin Mary Quinn I
Autoren: Y.S. Lee
Vom Netzwerk:
Verheißungen nichts als ein billiger Betrug sein könnten. »Sie haben meine Frage immer noch nicht beantwortet«, sagte Mary schroff, denn sie hatte Angst, dass ihre Stimme zittern könnte. »Was springt für Sie dabei heraus? Wo ist der Haken?«
    Anne Treleavens Augen, stellte Mary plötzlich fest, waren stahlgrau. »Ich kann es nicht ertragen, dass Mädchen zu Opfern werden«, sagte Miss Treleaven mit ruhiger Eindringlichkeit. »Wie es dir beinahepassiert wäre. Das springt für mich dabei heraus.« Plötzlich schloss sie die Finger um Marys kalte Hand. »Und der Haken, meine Liebe, ist, dass du bereit sein musst, hart dafür zu arbeiten. Das ist alles.«
    Der Händedruck erschütterte Mary mehr als ein unerwarteter Schlag. Wann war sie das letzte Mal berührt worden? Natürlich, die Aufseherin hatte sie ein wenig herumgestoßen   – aber nur zu ihrem Besten anscheinend. Auf der Straße hatten Männer versucht, ihr unter den Rock zu fassen. In bevölkerten Gassen und Kneipen hatten Betrunkene sie angerempelt. Kleine Kinder hatten sie angestoßen, wenn sie durch die Menge flitzten. Aber dass man sie, Mary, liebevoll berührt hatte   … das war seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr geschehen.
    Aufgewühlt zog sie die Hand zurück.
Das kann alles nicht wahr sein. Es kann sich doch nur um eine weitere Sackgasse handeln. Es gibt keine Hoffnung. Das hast du doch schon vor Jahren gelernt, kleine Törin.
Sie holte tief Luft, um der anderen all das entgegenzuschleudern. Stattdessen brachte sie nur ein Wort heraus, mit schwacher Stimme.
    »Bitte   …«

Eins
    Karfreitag, 2.   April 1858
    Miss Scrimshaws Mädcheninstitut, St. John’s Wood. London
    I mmer eine Stufe überspringend, eilte Mary die Dachbodentreppe hinunter. In einem Reifrock und in Knöpfstiefeln war das gar nicht so einfach, aber sie brauchte so etwas wie ein Ventil, weil sie so angespannt und aufgeregt war. Die leitenden Lehrerinnen hatten sie am Morgen zu einem Treffen einbestellt, und seitdem war sie nicht in der Lage gewesen, sich auf irgendetwas richtig zu konzentrieren. Ihr erster Versuch anzuklopfen geriet so zittrig, dass ihre Knöchel die schwere Eichentür kaum berührten. Beim zweiten Versuch kam ein ungehobeltes Poltern heraus und sie zuckte zusammen. Das hatte ja geklungen, als würde sie versuchen, die Tür einzuschlagen.
    »Herein«, kam die knappe Aufforderung von drinnen.
    Sie schluckte, wischte sich die Handflächen am Rock ab und drehte den polierten Messingtürknopf. Geräuschlos bewegte sich die Tür in den Angeln und gab den Blick auf eine freundliche Szene frei: zweiDamen mittleren Alters, die den Nachmittagstee einnahmen. Auch wenn die Damen ganz geziemt dasaßen, hatte Mary schnell zu begreifen gelernt, dass die beiden das Institut fest im Griff hatten. »G-guten Tag, Miss Treleaven«, brachte sie stotternd hervor, »guten Tag, Mrs Frame.«
    Miss Treleaven winkte sie herbei. »Tritt ein, Mary. Setz dich doch.«
    »D-danke.« Mary ließ sich auf die nächstbeste Sitzgelegenheit sinken, einen so stramm gepolsterten Rosshaarsessel, dass sie sogleich runterzurutschen drohte. Normalerweise stotterte sie nicht. Das war ihr noch nie passiert. Warum ausgerechnet jetzt?
    Miss Treleaven schenkte eine dritte Tasse Tee ein und reichte sie Mary. Es war ein sehr warmer Tag, vor allem oben im Dachgeschoss. Als Mary der Duft des Tees in die Nase stieg, zuckte sie zusammen, und ihre Nervosität verstärkte sich ums Doppelte. Das war eine Tasse Lapsang Souchong, eine Sorte, die Miss Treleaven normalerweise nur für besondere Anlässe vorsah.
    »Möchtest du vielleicht ein Stück Kuchen?« Anne Treleaven deutete auf den Mohnkuchen auf dem Tablett.
    Allein bei der Vorstellung zog sich Marys Magen zusammen. »Nein, danke.« Je mehr sie versuchte, ihre Nervosität in den Griff zu bekommen, desto lauter klapperte ihre Tasse auf der Untertasse.
    »Du hast um eine Unterredung gebeten.« Zu Marys Überraschung erhob sich Miss Treleaven und begannrastlos vor dem kalten Kamin auf und ab zu gehen. Marys Blick glitt zu Felicity Frame, die sitzen geblieben war. Die beiden Frauen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Anne Treleaven war dünn, unscheinbar und ernst, während Felicity Frame hochgewachsen und wohlproportioniert war, eine auffallende Schönheit, die häufig herzhaft lachen konnte.
    Mary befeuchtete ihre Lippen. »Ja.« Da die beiden schwiegen, nahm sie an, dass ihr wohl nichts übrig bleiben würde, als loszulegen. »Ich bin Ihnen sehr
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher