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Ein unbeschreibliches Gefuehl

Ein unbeschreibliches Gefuehl

Titel: Ein unbeschreibliches Gefuehl
Autoren: Christiane Schlueter
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es nicht.
    Zugegeben: Aristoteles hat, als er dieses schrieb, ausdrücklich die nichtsexuelle Freundschaft (wieder unter Männern natürlich, wir sind ja im alten Griechenland …) vor Augen gehabt. Lustbringende, erotische Beziehungen rangierten für ihn – siehe das eingangs Zitierte – unter Kategorie zwei, der vergänglichen Freundschaft. Und was die Stellung der Frau anging, nun, da war er, getreu dem Stil seiner Zeit, natürlich ein echter Macho. Aber all das Kluge, das er über die Freundschaft gesagt hat, dürfen wir, die wir bei ihm in Liebesdingen Rat suchen, heute doch in unsere Liebesbeziehungen einbringen.
    Eine stabile Beziehung, so haben wir eben von Aristoteles gehört, ist also auf ähnlichen Wertvorstellungen gegründet. Das ist eine nicht zu unterschätzende Erkenntnis. Wer im Alltag gut miteinander auskommen will, der sollte in wichtigen Angelegenheiten ähnlich gestrickt sein. Etwa in Gelddingen: Ein Sparbrötchen und ein Verschwender zusammen – das geht selten gut. Ein ausgewiesener Materialist und ein unverbesserlicher Idealist werden sich öfter in die Haare kriegen oder aneinander leiden. Und so fort.
    Doch weiter mit Aristoteles: »Auch bedarf es zur Bildung solcher Herzensbünde der Zeit und der Gewohnheit des Zusammenlebens; denn nach dem Sprichwort kann man sich nicht kennenlernen, wenn man nicht zuvor den bekannten Scheffel Salz miteinander gegessen hat; also kann man auch nicht eher aneinander Gefallen finden und Freundschaft schließen, als man sich einander als liebenswert erwiesen und bewährt hat.« Wie wahr! Selbst die Liebe auf den ersten Blick braucht danach den zweiten und dritten Blick, braucht gemeinsame Erfahrungen, damit eine Beziehung wachsen kann. Ein Scheffel Salz – das ist bildlich gemeint und bezeichnet eine große Menge. Aristoteles betont in diesem Zusammenhang, wie wichtig der »Austausch der Worte und Gedanken« sei, und findet zur Klarstellung ein schönes Bild: »In diesem Sinne ist ja doch das Zusammenleben bei Menschen zu verstehen, nicht wie beim lieben Vieh vom Weiden auf einer Trift.«
    Und schließlich: Freundschaft beruht immer auf Gegenseitigkeit. Wer jemand anderen freundschaftlich liebt, der wünscht ihm Gutes um seiner selbst willen, und zwar nicht nur aus einem momentanen Gefühl heraus, sonst ist die Freundschaft nur ein Strohfeuer oder eine Sentimentalität, die bei der ersten Schwierigkeit aufgibt. Aristoteles gebraucht hier den Begriff des Wohlwollens und meint damit ganz wörtlich: dem anderen wohl (also etwas Gutes) wollen, unabhängig vom eigenen Vorteil. Dieses Wohlwollen ist zwar noch nicht mit Freundschaft gleichzusetzen, aber eine unverzichtbare Voraussetzung für sie. »Daher könnte man das Wohlwollen metaphorisch eine untätige Freundschaft nennen, die aber, wenn sie länger dauert und zur Vertrautheit wird, in wirkliche Freundschaft übergeht.«
    Wer nun aber meint, gegenseitige Unterstützung sei folglich das Hauptmerkmal einer Freundschaft, der wird von Aristoteles enttäuscht: Bloße Notgemeinschaften verdienen es noch nicht, Freundschaft genannt zu werden, so sagt er. Freunde seien die daran Beteiligten »streng genommen nicht, weil sie nicht zusammenweilen und kein Gefallen aneinander finden, was doch ganz besonders zur Freundschaft gehört«. Mit anderen Worten: Spaß muss eine Freundschaft auch machen! Eine Beziehung ist kein Opfergang.
    Natürlich nicht, klar doch, werden wir unserem Beziehungsberater Aristoteles sofort beipflichten. Aber Vorsicht, so selbstverständlich ist diese Einsicht nicht. Wie viele Beziehungen beruhen nicht darauf, dass einer meint, sich für den anderen aufopfern zu müssen? Heutige Psychologen sprechen an dieser Stelle vom Helferkomplex und vermuten auf Seiten des hingebungsvoll Helfenden gern ein mangelndes Selbstbewusstsein. »Wenn ich alles für den anderen tue, braucht er mich und kann mich nicht verlassen«, so lautet die unbewusste Formel, nach der solche Beziehungen oft dauerhaft, aber wenig glücklich gepflegt werden. Mit der Ebenbürtigkeit, von der Aristoteles eingangs sprach, hat das nichts mehr zu tun, vielmehr mit Abhängigkeit und Machtwünschen – Dingen also, die einer Beziehung schaden.
    Wie jedoch vermeidet man solche Schieflagen? Die Antwort des Aristoteles lautet: Man vermeidet sie, indem man auf das eigene Wohlergehen achtet. Da wird er, der Liebhaber des Konkreten, nun doch ganz grundsätzlich, indem er festhält: Wohlwollen für den anderen ist überhaupt nicht
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