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Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman

Titel: Ein Traum von einem Schiff. Eine Art Roman
Autoren: Christoph Maria Herbst
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An normalen Tagen brauche ich für die Strecke zehn Minuten.
    Was, wenn ich es nicht mal mehr auf die Insel schaffe und eine perfekte Welle mich vom Steg greift?
    Was, wenn man mich gar nicht vermisst beim Essen?
    Was, wenn alle fast froh sind, mich endlich los zu sein? Wieder ein Limettenlutscher weniger!
    Positiv denken, positiv denken, jetzt bloß nicht schlappmachen, eins nach dem anderen, erst mal die 24-Stunden-Tasche. Aber was muss da rein? So oft habe ich »Ich packe meinen Koffer« gespielt. Hätte ich mich nur ein einziges Mal dabei konzentriert. Gut, das erste Wort ist immer und weltweit »Zahnbürste«, die sollte nun wirklich mit.
    Was ist mit Eau de Toilette, Zahnseide, Kondomen?
    Was braucht man wirklich? Mit wie wenig kommt man aus?
    Gott, jetzt bloß nicht philosophisch werden. Vielleicht sollte ich eher meine 48-Stunden-Tasche packen. Oder doch den ganzen Koffer mitnehmen?
    Quatsch, wenn das alle machen.
    Aber wenn alle denken »Wenn das alle machen« und es deswegen nicht machen, dann kann ich es doch machen.
    Schnauze! Konzentration!
    Schlüpfer, Mac, T-Shirt – eigentlich ganz einfach, und jetzt raus hier.
    In dem Moment, als ich die Tür aufziehe, wirbelt mich eine derart starke Bö an, dass mir für einen Moment die Luft wegbleibt. Da kann ich ja gleich schwimmen.
    Mist. Eben am Telefon hieß es, man möge auf jeden Fall an seinen Reisepass denken. Der grüne Brei der Unsicherheit steigt meine Kehle hoch.
    Wir werden alle sterben!
    Toll, jetzt hab ich auch noch Sodbrennen. Mit diesem Brennstoff im immer dicker werdenden Hals wage ich den finalen Rettungssprung. Ich muss es schaffen! Wie menschenleer alles ist. Nur ich, meine Tasche und der Geschmack nach Galle.
    Wow. Bora Bora.
    Vielleicht war längst der Helikopter des französisch-polynesischen Technischen Hilfswerks da und hat alle in Sicherheit gebracht. Also fast alle. Und ich mach jetzt hier auf Luxus-Robinson-Crusoe.
    Als sei ich schwer angetrunken, eiere ich in Serpentinen über den zittrigen Steg und vollführe den einen oder anderen unfreiwilligen Hüpfer, da mir die Hände des Orkans stoßweise an den Hintern greifen. Na toll, der Zyklon ist ’ne Schwuchtel. In der Ferne mache ich, soweit die Gischt der gepeitschten See die Sicht freigibt, eine Armada gebeutelter Palmen aus, denen die eigenen Kokosnüsse um die Ohren fliegen und die in der schwül-gelblichen Luft aussehen, als würden alle 35 Cheerleader von Frankfurt Galaxy gleichzeitig in die Steckdose fassen: Sie winken und zucken, verbiegen sich und scheinen zu straucheln. Auf einmal löst sich etwas Weißes aus der gepeinigten Gruppe, es sieht, Tatsache!, nach einem elektrischen Auto aus.
    Sie kommen.
    Sie kommen, um mir zu helfen, mich zu stützen, mich zu retten.
    Ich beschleunige, eile ihnen geradezu, soweit mir das möglich ist, entgegen in gelöster Erwartung des freundlich gelächelten »Iorana«, das hiesige »Hallihallo«, als der Wagen, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, an mir vorbeibraust, und als sei das nicht schon schlimm genug, grüßt mich nicht nur keiner der Resort-Bediensteten, sondern beide gucken auch noch angestrengt nach unten, als müssten sie in dem Moment eines Blickkontaktes zur Salzsäule erstarren. Sie hätte ja zumindest »Hallo, Medusa!« rufen können.
    Also das gibt mir jetzt aber wirklich zu denken. So wie ich im Flieger bei besonders widrigen Flugbedingungen nach den Stewardessen Ausschau halte, wie die so drauf sind, um mich dann unmittelbar deren Gemütsverfassung anzupassen, mache ich dasselbe auch routinemäßig in 5-Sterne-Hotels in unwettergefährdeten Regionen; und wenn ich mich der gerade beobachteten Verfassung der vorbeifahrenden Hotelangestellten anpassen würde, müsste ich mich auf der Stelle einnässen.
    Aber ich habe meine Tasche gepackt, dann packe ich das hier auch noch. Vor gerade mal vier Wochen in Madrid dachte ich noch, wenn ich meinen Flieger erwische, ist die Katastrophe nicht mehr aufzuhalten, heute denke ich, wenn irgendwer diese Katastrophe hier mal kurz aufhalten könnte, würde ich gern den nächsten Flieger nehmen. Nach Hause.
    Während sich blitzartig fetzenhafte Ausschnitte aus dem Tornado-Schocker
Twister
meines inneren Auges bemächtigen und ich Angst habe, mich umzudrehen, um mir den Anblick sich mir entgegenblätternder Stegpaneelen, die wie Feuerwerkskörper gen Himmel schießen, zu ersparen, kommt mir ein anderer Schocker in den Sinn, nur dass der sich meines inneren Ohrs bemächtigt, und im selben
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