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Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Ein Totenhemd fur einen Erzbischof

Titel: Ein Totenhemd fur einen Erzbischof
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Schatzmeisters Seiner Heiligkeit. Sie ist seit Jahren verschlossen, jedenfalls seitdem ich bei der Palastwache bin.»
    Erschrocken sah Licinius seinen Kameraden an, riß die nächste Pechfackel aus dem Wandhalter und ging zu der Tür, auf die der Mönch gedeutet hatte. Der Rost auf Schloß und Riegel bestätigte die Aussage des decurion , und Licinius stieß einen Schwall von Flüchen aus, die für ein Mitglied der Palastwache Seiner Heiligkeit alles andere als schicklich waren.
     
    Der Mann saß an einem Holztisch, den Kopf über ein Pergament gebeugt, die Lippen in höchster Aufmerksamkeit zusammengepreßt. Trotz seiner gekrümmten Haltung konnte man erkennen, daß er von hohem Wuchs war. Sein unbedeckter Kopf wies die unverwechselbare römische Tonsur auf, eine kreisrunde, kahlgeschorene Stelle auf der Mitte des Scheitels, umgeben von kräftigem, pechschwarzem Haar, das zu seiner braunen Haut und seinen dunklen Augen paßte. Sein Gesicht ließ auf ein Leben in einem warmen, sonnigen Klima schließen. Seine Züge waren schmal und hager, er hatte die Adlernase eines römischen Patriziers, und seine Wangenknochen traten deutlich hervor. Seine Haut war mit kleinen Narben bedeckt, vielleicht hatte er sich in der Kindheit die Pocken zugezogen. Die schmalen Lippen waren so rot, daß sie fast künstlich gefärbt aussahen.
    Er saß reglos da, stumm in seine Papiere vertieft.
    Auch wenn seine Tonsur nichts über seine religiöse Berufung verraten hätte, war seine Kleidung unverwechselbar: Er trug die mappula, ein weißes, mit Fransen gesäumtes Tuch, campagi flache, schwarze Pantoffeln, und udones, weiße Strümpfe – die überlieferte Tracht eines kaiserlichen Magistrats im römischen Senat, an der man inzwischen hohe geistliche Würdenträger erkannte. Auch die dünne, purpurrote Seiden tunica zeigte deutlich, daß er mehr war als ein einfacher Mönch.
    Als ihn das leise Bimmeln einer Glocke aus seinen Gedanken riß, blickte er gereizt auf.
    Am anderen Ende des großen, kühlen Marmorsaals öffnete sich eine Tür, und ein junger Mann in einer groben, braunen Mönchskutte trat ein. Er schloß die Tür sorgfältig hinter sich, schob die Hände in die weiten Ärmel seines Gewandes und eilte auf den Mann am Holztisch zu. Sein leicht schwankender Gang erinnerte an das Watscheln einer Ente, und seine Sandalen klatschten auf den Mosaikfußboden.
    «Beneficio tuo» , sagte der Mönch und beugte ehrerbietig den Kopf.
    Ohne den traditionellen Gruß zu erwidern, lehnte der ältere Mann sich seufzend zurück und bedeutete dem Mönch durch ein Handzeichen, sein Anliegen vorzutragen.
    «Mit Eurer gütigen Erlaubnis, ehrwürdiger Gelasius, im Vorzimmer ist eine junge Schwester, die verlangt, zu Euch vorgelassen zu werden.»
    Gelasius zog eine dunkle Augenbraue hoch.
    «Sie verlangt , vorgelassen zu werden? Eine junge Schwester, sagst du?»
    «Aus Irland. Sie hat die Regularien ihres Klosters mitgebracht, um sie dem Heiligen Vater vorzulegen und von ihm segnen zu lassen. Außerdem hat sie eine persönliche Nachricht Ultans von Armagh für Seine Heiligkeit.»
    Gelasius lächelte schwach. «Die Iren suchen also noch immer den Segen Roms, obwohl sie gegen die römischen Beschlüsse ständig Einwände erheben? Ist das nicht ein seltsamer Widerspruch, Bruder Donus?»
    Der Bruder beschränkte sich auf ein Achselzucken.
    «Ich weiß wenig über dieses fremde Land. Allerdings glaube ich gehört zu haben, daß die Leute dort noch immer der Ketzerei des Pelagius folgen.»
    Gelasius schürzte die Lippen.
    «Und die junge Schwester verlangt …?» betonte er das Wort zum zweiten Mal.
    «Angeblich wartet sie seit fünf Tagen darauf, vorgelassen zu werden, ehrwürdiger Gelasius. Zwischen den verschiedenen Abteilungen muß es wohl einige Mißverständnisse gegeben haben.»
    «Nun, da uns die irische Schwester Nachricht vom Erzbischof von Armagh bringt, sollten wir sie unverzüglich empfangen, vor allem, wenn man bedenkt, daß sie eigens den weiten Weg nach Rom gereist ist. Ja, schauen wir sie uns an, befragen wir sie nach den Regularien, und lassen wir uns von ihr erklären, warum sie der Heilige Vater ihrer Meinung nach persönlich empfangen sollte. Hat diese junge Schwester auch einen Namen, Bruder Donus?»
    «Natürlich», antwortete der junge Mönch. «Aber es ist ein seltsamer Name, den ich nicht behalten habe. Felicitas oder Fidelia oder so ähnlich.»
    Ein mattes Lächeln erschien auf Gelasius’ dünnen Lippen.
    «Das könnte ein gutes Omen
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