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Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)

Titel: Ein Tag und zwei Leben (Episode 2)
Autoren: Adriana Popescu
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Stelle kommt Simone ins Spiel. Simone ist so herrlich einfach. Zumindest dann, wenn sie nicht gerade total aufgedreht auf der Tanzfläche ihren Hintern an einen Typen reibt, den sie nicht kennt, und ich natürlich auch nicht. Sie verlangt keine großen Liebesschwüre, ihr muss ich auch nicht mein gesamtes Innenleben erklären. Sie nimmt mich so, wie ich bin. Es ist die einfachste Version einer Beziehung – wenn wir denn gerade mal wieder eine führen. Das reicht den meisten Menschen für einen Gang vor den Altar. Nein, ich werde Simone nicht heiraten. Ich werde auch nicht ewig mit ihr zusammen sein. Aber es ist einfacher, als alleine zu sein. Lea … Lea würde so viel Arbeit bedeuten … Bei ihr müsste ich mich richtig anstrengen, die richtigen Worte zur richtigen Zeit zu sagen. Ich müsste aufmerksam und bedacht sein. Ein Fehler und sie wäre weg. Und wenn ich etwas mit absoluter Sicherheit sagen kann, dann ist es eines: dass ich Fehler machen werde. Nicht nur einen, nein! Ich mache ständig Fehler und lasse mich grundsätzlich auf die falschen Menschen ein. Und dann, tja, dann bin ich manchmal eben auch noch ein richtiges Arschloch. So wie heute. Ich werde Lea heute noch richtig wehtun. Nicht, weil ich das will, sondern weil ich das an Tagen wie heute immer mache. Das weiß sie. Und trotzdem ist sie in meiner Küche und packt eine Quarktasche von meinem Lieblingsbäcker auf einen Teller. Weil beste Freundinnen solche Dinge verzeihen. Aber Partnerinnen? Nein! Die sammeln dann die Teile ihres zerbrochenen Herzens ein und gehen. Für immer. Verständlich. Aber ein Leben ohne Lea? Das wäre irgendwie schlimm. Verdammt schlimm …
    Also stelle ich das Wasser ab und bereite mich darauf vor, sie einmal mehr zu enttäuschen.
     
    Mit einem Handtuch um die Hüften tapse ich durch das Wohnzimmer und sehe Lea, die gut gelaunt in der Küche vor sich hin summt. Das macht mich wahnsinnig. Dazu hat sie nämlich kein Recht. Nicht heute.
    «Könntest du deine gute Laune für dich behalten?»
    «Könnte ich. Aber ich stecke dich damit viel lieber an!»
    Meine Mundwinkel zucken, diese miesen Verräter. Sie wollen sich, ebenso wie andere Teile meines Körpers, von Lea anstecken lassen. Aber das wäre nicht fair. Heute ist Nikolaus. Juhu! Konfetti! Lichterketten! So ein Blödsinn ... Ich schlage die Tür zu meinem Schlafzimmer wütend hinter mir zu und spüre, wie meine Hände zittern. Ist mir kalt? Obwohl die Heizung alles gibt, um gegen die Dezemberkälte vorzugehen? Nein – also ja. Ja, mir ist kalt. Aber nein, nicht deswegen. Trotzdem könnte Kleidung nicht schaden. Wieso meine Hände zittern und mein Herz wie verrückt pocht, weiß ich ganz genau, will aber weder das Gefühl noch die Erinnerung zulassen. Nicht jetzt. Noch nicht. Bitte.
    Schnell schlüpfe ich in frische Boxershorts und ein T-Shirt. Und dann sehe ich es, unten, in die hinterste Ecke gestopft: eine rote Mütze mit einem weißen Bommel, die sich verräterisch nach vorne gemogelt hat. Ich weiß noch ganz genau, wie Lea sie mir damals geschenkt hat. Zum Nikolaus, weil sie dachte, es wäre eine nette Geste. Die Sterne an der Mütze blinken rot und sollen mich zum Lachen bringen. Sie hat es damals nicht gewusst. Es war keine Absicht, die Erinnerungen zu wecken, die ich für gewöhnlich wegsperre. Die meiste Zeit gelingt es mir ziemlich gut, das alles zu ignorieren.
    Aber ich weiß auch, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis es wieder losrollt. Meistens höre ich es sogar schon, bevor es da ist. So wie jetzt. Als ob man eine Steinlawine lostritt. Zuerst nur ein paar lose Steine, dann vielleicht mehr Geröll. Irgendwann hört man es schon irgendwo unten im Tal. Nein, ich habe noch nie eine solche Lawine gesehen oder gehört, aber jedes Jahr um diese Zeit muss ich mich ihr trotzdem stellen. Ob ich will oder nicht. Weil es uns nicht möglich ist, einfach so einen Tag im Leben zu überspringen. Wenn ich das könnte, dann wäre es dieser hier. Weil keiner schlimmer ist. Für manche beginnt der Weihnachtswahnsinn mit dem Song , Last Christmas’ . Für mich beginnt es am Nikolaustag. Am 6. Dezember, wenn alle ihre polierten Schuhe vor die Tür stellen, selbst wenn sie erwachsen sind. Weil man nie genug Schokolade und Süßkram haben kann – und weil man es als Kind so gelernt hat. Da bin ich keine Ausnahme.
    Langsam setze ich mich auf mein Bett und starre auf das dunkle unterste Fach meines Kleiderschranks. Die rote Weihnachtsmannmütze und der dazugehörige Rest des
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