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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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solche Ecken. Oder in Neapel und Saloniki. Auch dort gibt es Orte wie das Raval, das nur so strotzt vor unvergänglichem Stolz, der einem auf nicht greifbare Weise mitteilt, dass es ohne ihn Barcelona gar nicht gäbe. Denn ohne das Raval wäre die Stadt ihrer Düsterkeit beraubt, der Gefahr, der Schauergeschichten und Legenden. Man würde Barcelonas Seele zerstören.

    Trotzdem wird immer wieder versucht, das Viertel »in Ordnung« zu bringen. Nicht, dass man mich falsch versteht: Ich glaube an den Wandel. Eine Großstadt braucht ihn, sonst ist sie tot. Aber im Raval habe ich stets das Gefühl, dass man zu weit gegangen ist, dass Bestehendes zerstört wurde, um mit Neuem mehr Geld zu verdienen. Man hat Häuser saniert und verkauft oder gleich abgerissen und, was viel schlimmer wiegt, Bewohner gemobbt und hinausgeworfen. Vor ein paar Jahren wurde ein Fünf-Sterne-Hotel in das Viertel hineinoperiert, das thront jetzt wie ein enormer glitzernder Phallus über der Rambla del Raval. Das ganze Gebäude ist mit einem Eisengeflecht überzogen, ein edler Käfig, in dem teure Vögel eingeschlossen sind, die sich nicht heraustrauen, weil ihnen die Flügel gestutzt werden könnten.
    Aber die Kraft, die aus dem unheiligen Boden des Raval und den Ritzen seiner Mauern strömt, fegt Sauberkeit und heile Welt davon. Vor den Designpforten wird immer noch gesoffen, mit Drogen gedealt, gebrüllt und gegebenenfalls auch geprügelt. So wie früher: Ich weiß noch, wie ich vor sehr langer Zeit mal mit Freunden eine Interrail-Tour unternommen habe und wir in Barcelona unbedingt unseren ersten Joint rauchen wollten. Wir landeten natürlich im Raval, wo sie sich gut darauf verstehen, Naivlinge übers Ohr zu hauen. Jedenfalls sackte der Dealer die Peseten ein, die meine Freunde und ich zusammengekratzt hatten – und drückte mir ein Päckchen mit Kraut in die Hand, das ein Kumpel als Zitronengras identifizierte.

    Als ich vor ein paar Jahren einen Film im Raval drehte, lernte ich das Viertel sehr viel besser kennen als damals in meiner Jugend, vor allem hörte ich mir die Geschichten der Leute auf der Straße an. Bei einem Nachtdreh in der Calle Joaquín Costa erzählte man mir die Legende von Spaniens berühmtester Serienkillerin, Enriqueta Martí, einer Prostituierten, die als »la vampire del carrer Ponent« , als »die Vampirin vom Carrer Ponent« in die Geschichte einging. Sie hatte vor gut hundert Jahren Kinder entführt, prostituiert, umgebracht und zu Wunderheilmitteln verarbeitet. Die katalanische Upperclass kaufte ihr die »Medizin« zu horrenden Preisen ab und deckte die Mörderin, weil sie ihnen ewiges Leben versprach.
    Ich habe mir ein Buch über diese grauenvolle Geschichte im Raval gekauft, das ich lieber nicht hätte lesen sollen. Denn als ich später nachts alleine durch die Gässchen irrte, hatte ich nicht Angst vor Taschendieben oder Schlägern, sondern vor der Gestalt der Enriqueta und ihren traurig bösen Augen, die auf mich herabzublicken schienen.
    Bei meinen Streifzügen stellte ich aber auch fest, dass die meisten meiner Lieblingslokale noch existierten und es mir erlaubten, mich angenehm in Nostalgiegefühlen zu suhlen: das Frühstückslokal Kasparov, wo ich so oft mit meinen Kumpels einen Espresso, Croissant und Aspirin eingenommen hatte, der kleine Bildbandladen daneben und gegenüber, auf der anderen Seite des Spielplatzes, die beste Buchhandlung überhaupt in Barcelona, die Central.
    Durchquert man sie, führt einen der Ausgang am anderen Ende zum »MacBa«, dem Museum für zeitgenössische Kunst. Wieder im Freien, wird man zu dem Museum von Skatern aus aller Welt eskortiert, die auf dem Vorplatz ihren Treffpunkt gefunden haben, ihre Tricks ausprobieren und sich aufs Maul legen.
    Im Sommer verwandelt sich das Museum in eine Festival-Landschaft, weil dann das »Sonar« stattfindet, das für jeden, der elektronische Musik mag, ein Muss ist. DJ s aus der ganzen Welt verteilen sich auf Hunderte Turntables an verschiedensten Orten der Stadt und pumpen ihre Beats durch die laue Abendluft. Tagsüber ist das architektonisch blendende MacBa das Zentrum des Festivals.
    Richtig spannend ist das Raval bei Dunkelheit. Dort habe ich das Nachtleben entdeckt, dort habe ich für mich entschieden, wie weit ich mich von meiner Neugierde treiben lasse und was ich getrost auslassen kann, ohne es versucht zu haben. Das Viertel lädt dazu ein, Verbotenes zu probieren, Risiken einzugehen, sich Ängsten zu stellen. Es verführt und
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