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Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Ein Tag in Barcelona (German Edition)

Titel: Ein Tag in Barcelona (German Edition)
Autoren: Daniel Brühl , Javier Cáceres
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all meinen Mut zusammen und ging zur Telefonzelle am Kirchplatz, wo ich ungestört sein konnte. Ein Telefon hatten wir nicht im Haus, und Handys und E-Mails gab es noch nicht. An das Gespräch kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich glaube, ich faselte lange irgendwelches Zeug, und sie tat wahrscheinlich so, als würde sie das interessieren. Das Wichtigste aber war, dass ich ein Date in Barcelona organisiert hatte. Völlig liebestoll knallte ich den Hörer auf die Gabel und rannte durch die zirpende Nacht aufs Schloss hoch, wo ich mich ganz oben unter die Sterne legte und auf dicke Schnuppen wartete, die um diese Zeit am laufenden Band übers Firmament schossen.
    Tja. Und dann stand ich eines Tages also mit meinem Pingpongpickel in der Bar und atmete tief durch.
    Ich weiß noch, wie ich mir für einen kurzen Moment lang wünschte, dass sie nicht kommt. Wie bei einer Schulklausur, die verschoben wird und einem die heftigste Prüfung erspart. Danach würde sich natürlich herausstellen, dass es ein Missverständnis war, und wir würden das Treffen vertagen. Ich war komplett runter mit den Nerven. Außerdem war Spanisch – und erst recht Katalanisch – eine Sprache, deren Jugendjargon ich nicht beherrschte, in der ich weder schnell noch lustig sein konnte. Ich ging ja in Deutschland zur Schule, Spanisch sprach ich fast nur mit meiner Mutter. Ich konnte also nicht wissen, welche Worte gerade in waren und welche Ausdrücke sich schon in den sechziger Jahren überlebt hatten.
    Diese Gedanken schossen mir durch den Kopf, als ich sie unter den Touristen ausmachte. Alles in Unschärfe bis auf sie. Ich näherte mich und tippte ihr auf die Schulter. »Hola« , sagte ich.
    Sie drehte sich zu mir, erwiderte die Begrüßung und gab mir zwei Küsse auf die Wangen. Sie duftete nach Parfüm, irgendwas mit Veilchen. Und sie spürte offenbar, dass sie die Entscheidungen fällen musste, weil ich eh nicht wissen würde, wohin. Sie schlug einen Spaziergang zum Hafen und dann weiter Richtung Barceloneta vor, das Stadtviertel, das in den Strand übergeht.
    Sie war inzwischen so braungebrannt wie eine Tafel Schokolade und ich dagegen rot wie Shrimps. Jeder Meter, den wir zurücklegten, dehnte sich auf grausame Art. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich hatte es kommen sehen: Alles, was ich vorbereitet hatte, wollte keinen Sinn machen. Sie füllte Lücken mit Fragen, die ähnlich ungelenk waren wie meine Gedanken: wo ich in Deutschland wohnen würde, wie es da so sei, ob die Mädchen dort alle blonde Haare hätten und ob wir tatsächlich nur Kartoffeln essen würden.
    Miguel hatte recht, dachte ich, ich werde noch viel lernen müssen. Und wunderte mich nicht, dass Mädchen in diesem Alter jemand Älteren suchen, jemanden, der Erfahrung hat, der lässige Witze erzählt, der sich traut, das Mädchen an sich zu ziehen und zu küssen, der verrückte Dinge vorschlägt, sie dann mit der Vespa nach Hause bringt und sich eine Zigarette anzündet, während sie hoch in ihr Zimmer geht, um noch ein letztes Mal aus dem Fenster zu winken. Ich konnte ihr nichts davon bieten, ich angekrampfter Knilch, bemitleidete ich mich selbst, bestimmt langweilte ich sie zu Tode.
    Auf einmal fällt mir Carlos ins Wort: »Du langweilst mich!«, sagt er.
    Ich erschrecke. Und entschuldige mich, weil ich merke, dass der Motor seines Autos während meiner ausufernden Geschichte längst kalt geworden ist.
    »Keine Sorge, war nur ein Scherz«, sagt er lachend. »Aber es tut mir leid: Ich muss zurück.«
    Wir verabschieden uns, und nachdem ich die Beifahrertür seines Autos etwas zu heftig zugeknallt habe, versuche ich den gleichen Weg zu gehen, den ich damals mit Sandra gegangen bin. Jetzt, mit Anfang dreißig, muss ich die ganze Zeit lächeln, als ich die Strecke zurücklege. Vielleicht liegt es daran, dass ich langsam beginne, den Alkohol zu verdampfen, den ich bei Carlos getrunken habe und der mir nun ein ganz wohliges Gefühl macht. Oder aber es liegt daran, dass ich heute, anders als damals, weiß, wo der Spaziergang enden wird: nämlich auf der Bank, wo es aus mir herausplatzte und ich ihr sagte, dass ich sie liebe, und sie bloß lachte, dass ich wirklich süß sei, aber dass wir keine Zukunft haben, weil ich doch so weit weg lebe, und dass ich mit Sicherheit in Deutschland ein hübsches blondes Mädchen kennenlernen werde.
    Es ist die dritte Bank.
    Damals war es schmerzvoll, weil ich wusste, dass sie nicht wirklich was für mich empfand, außer Mitleid. Nur
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