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Ein Sommer und ein Tag

Ein Sommer und ein Tag

Titel: Ein Sommer und ein Tag
Autoren: Allison Winn Scotch
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«Und heilen kann es sicher auch nicht. Aber immer, wenn wir einen neuen Künstler unter Vertrag nahmen oder es etwas anderes zu feiern gab, haben wir uns Doughnuts und Snapple gegönnt. An dem Tag, als ich dich dazu überredete, die Galerie zu gründen, haben wir uns so besoffen wie noch nie in unserem Leben.» Sie macht ein verklärtes Gesicht. «Als wir noch klein waren, hat Mum immer Doughnuts für uns gebacken. Inzwischen begnügen wir uns mit gekauften Dunkin’.»
    «Was feiern wir denn?», will ich wissen. «Dass ich eines Tages – vielleicht in zehn Jahren, vielleicht auch nie, den Experten zufolge – aus der Therapie entlassen werde?»
    «Nein. Nichts Besonderes.» Sie schraubt den Deckel von der ersten Flasche. «Ich dachte einfach, es wäre nett. Etwas, das deine kleine Schwester für dich tun kann. Wir sind alle … na ja, wir fühlen uns alle ein bisschen hilflos.» Sie reicht mir einen Marmeladendoughnut, der prompt beim ersten Bissen explodiert und die Marmelade über mein ganzes Nachthemd verteilt. «Jetzt siehst du auch noch aus, als würdest du unheimlich bluten.» Sie kichert.
    «Das ist nicht komisch.»
    «Nein. Stimmt.»
    Trotzdem fangen wir hemmungslos an zu lachen. Ich lecke mir die Marmelade von den Lippen.
    «Musst du dir eigentlich ständig diesen Typen anschauen?» Sie reckt das Kinn in Richtung Fernseher, wo Jamie Reardon zu sehen ist. «Das läuft jedes Mal, wenn ich hier bin. Schon irgendwie makaber, oder?»
    «Ich mag ihn.» Ich zucke mit den Achseln.
    «Er ist ein ganz normaler Reporter. Auch nur ein Piranha auf der Suche.»
    «Nein. Ich finde, er ist anders», erwidere ich, als hätte ich die nötige Erfahrung, um zwischen Klatschreportern und ernsthaften Journalisten zu unterscheiden, zwischen anders und nicht anders. Aber Anderson hat Erfahrung, und er mag ihn auch. Er strahlt so etwas Aufrichtiges, Einladendes aus. «Keine Ahnung. Ich finde, er wirkt, als wäre es leicht, sich mit ihm zu unterhalten.»
    «Komisch. Er hat mich vorhin vor der Tür aufgehalten – da draußen lagert eine ganze Horde Journalisten – und wollte wissen, ob du bereit wärst, ihm ein Interview zu geben. Ich habe ihm gesagt, er wäre ein Blutsauger, der sich von Katastrophen ernährt.» Sie schlägt ihre – fünfzehn Zentimeter länger als meine geratenen – Beine übereinander. «Bitte sag mir jetzt nicht, dass du darüber nachdenkst, mit ihm zu sprechen. Das wäre absolut und total untypisch für dich.»
    «Keine Ahnung», antworte ich. «Wer weiß denn schon, was typisch für mich ist?»
    «Ich zum Beispiel. Ich kenne dich seit siebenundzwanzig Jahren. Und du hast noch nie das Rampenlicht gesucht. Ich musste dich praktisch auf Knien anflehen, mir bei der PR für die Galerie zu helfen und etwas zu erwägen, das auch nur ansatzweise vom gewöhnlichen Ablauf abwich. Dass du damit einverstanden warst, über Hope Kingsley auch nur nachzudenken – die Künstlerin, mit der du dich in San Francisco treffen solltest –, war mehr als ein Wunder. Sie war eine vom KoA-Haufen – o Mann, hattest du die vielleicht satt!»
    «Von was für einem Haufen?»
    «Künstler ohne Agenten – KoA. Die, die ihr Zeug einfach ungefragt überall hinschicken. Man sollte zwar meinen, dass vor allem du das Bedürfnis hättest haben müssen, unentdeckte Talente zu fördern, aber das Gegenteil war der Fall.»
    Das klingt aber überhaupt nicht nach meinem fabelhaften Ich !
    «Was meinst du damit? Ausgerechnet ich?»
    «Weil du allein in deinem linken Zeh mehr Talent hattest als jeder sonst, den ich kenne. Vielleicht mit Ausnahme von Dad. Aber vielleicht hattest du sogar noch mehr als er. Als Kind hat mich das wahnsinnig gemacht.»
    «Malerei?», frage ich überrascht.
    «Musik», antwortet sie, als sei das selbstverständlich.
    Ich grüble ein bisschen darüber nach, und dann, ganz nebenbei, weil meine Gedanken abschweifen, frage ich: «Wusstest du, dass ich schwanger war?»
    «O Gott!» Ihre Unterlippe fängt an zu zittern.
    «Nein, so habe ich das nicht gemeint. Ich wollte dir doch keinen Vorwurf machen. Ich meinte nur, weil ich mich nicht daran erinnern kann, ob du wusstest, dass ich schwanger war?»
    Sie schüttelt den Kopf und reißt sich zusammen. «Nein. Und ehrlich gesagt, es überrascht mich.» Sie denkt nach. «Was sagt Peter dazu?»
    «Wir haben noch nicht viel darüber gesprochen. Es fühlt sich so eigenartig an – einen Ehemann zu haben, an den man sich überhaupt nicht erinnern kann.»
    «Du hast eine Schwester,
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