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Ein silbernes Hufeisen

Ein silbernes Hufeisen

Titel: Ein silbernes Hufeisen
Autoren: Melanie Barbera
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goldene Geländer geklammert, um die Menschenmassen, die ihn umgaben, so gut wie möglich zu umgehen. Er hasste derartige Ansammlungen, hasste das Publikum hier, nicht nur im Kollektiv, sondern auch jeden einzelnen von ihnen individuell. Lange genug lebte er nun schon unter ihnen, aber er war immer ein Außenseiter geblieben aus freien Stücken heraus, denn allesamt waren sie stolz und altmodisch, nutzlos und überholt, reich und selbstherrlich. Wie sehr er sich danach sehnte, vor ihnen zu fliehen! Wenn Guinievaires Vater morgen endlich sein Einverständnis gegeben hatte, dann würde Tony damit beginnen, sich nach einem Haus auf dem Lande umzusehen. Für seine neue, kleine Familie wünschte er sich nichts mehr als Frieden.
    Ein dunkler Flur mit einer hellblauen Tapete aus teurem Stoff führte zu den Sitzen im ersten Rang. Tony folgte der leichten Kurve, die er machte, bis zum Ende, wo es eine beinahe unsichtbare Türe in der Wand gab, neben der ein goldenes Schild prangte, auf dem in langen Lettern Guinievaires Nachname geschrieben stand. Hoffnung und Zuversicht machten sich breit in ihm, als er die goldene – war denn alles hier aus Gold? Als würde irgendetwas wie durch Zauberhand besser, solange es nur aus diesem wertlosen Material bestand! – Klinke drückte. Leise trat er schließlich ein.
    In der quadratischen Loge der Familie Hastings, die nach vorne elegant abgerundet war und einen vollendeten Blick auf die Bühne bot, außerdem auch auf das Parkett und die gegenüberliegenden Logen im ersten und zweiten Rang, gab es vier bordeauxrote Sitze. Dimme Lichter flackerten noch an der Wand, während die Besucher nach ihren Plätzen suchten, Guinievaire jedoch saß bereits auf dem ihren, dabei hatte sie sich nach vorne gelehnt, um die vielen Menschen besser beobachten zu können. Ihre weißen Arme ruhten auf der gepolsterten Brüstung, außerdem hatte sie Tony den Rücken zugekehrt und schien ihn nicht gehört zu haben, als er eingetreten war, immerhin füllte ein beständiges und recht lautes Raunen das gesamte Theater. Dankbar nutzte er also diesen kleinen Moment, um sie ein wenig zu bewundern.
    Er war sich der Tatsache bewusst, dass seine Liebe für dieses Mädchen absolute Hingabe war oder sogar noch etwas weitaus Ungesünderes, aber dem hatte er sich lange ergeben. Er war machtlos dagegen gewesen seit dem Tag, an dem sie gemeinsam mit ihrem Vater Napoléon gekauft hatte, und Tony ihr zum ersten Mal begegnet war. Damals hätte er niemals damit gerechnet, dass er sich ausgerechnet in Guinievaire Hastings unsterblich verlieben würde, denn er hatte immer geglaubt, dass sie zu jener Art Mädchen zählte, wie er sie üblicherweise verabscheute. Sie hatte ihn jedoch eines Besseren belehrt, und nun war er vorsichtig von ihr besessen, wobei er nach wie vor fassungslos darüber war, dass sie ihn tatsächlich erhört hatte. Dabei glaubte er, dass sie dies getan hatte, eben weil Tony sie rückhaltlos anbetete. Guinievaire wollte bewundert werden, also tat er ihr gerne diesen Gefallen, denn im Gegenzug bekam er sie zur Frau, bekam er Küsse und liebe Worte und sie lächelte für ihn – sie beide hatten sich bestens arrangiert.
    Als er von einem Fuß auf den anderen trat, ächzte das Parkett unter seinen leisen Schuhen, womit er sich schließlich doch verriet. Guinievaire drehte den Kopf und sofort lag ihr Blick auf ihm. Ihre Mundwinkel glitten nach oben, als sie ihn sah, sie strahlte und dann neigte sie den Kopf ein wenig auf die Seite.
    Tony legte eigentlich keinen besonderen Wert auf derartige Oberflächlichkeiten, aber Guinievaire war ein ausnehmend schönes Mädchen, wobei ganz bestimmt nicht nur er dieser Meinung war, denn sie war nicht auf eine spezielle Art und Weise attraktiv, aus dem rechten Winkel gesehen, und man musste auch nicht um ihren bestechenden Charakter wissen, um die Hülle schätzen zu können. Sie war ein Ideal, was ihre Erscheinung betraf: sie war recht groß für ein Mädchen, ebenso groß wie Tony, der leider nicht sonderlich hoch gewachsen war. Weiße, transparente Haut zog sich über ihre Knochen, die manchmal spitz hervorragten – ihre Knöchel zum Beispiel, ihre Schultern und ihr Schlüsselbein – meist aber wieder unter ihren weichen Formen verschwanden. Sie hatte lange Beine und eine außergewöhnlich schmale Taille, die stets fester verschnürt war als die anderer Mädchen. Dazu im direkten Kontrast standen ihre Hüften und vor allem ihr Busen, mit dem sie sich leider selten die Mühe
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