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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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die
Begriffe ‹Kempinski› und ‹Esplanade› deutsche Begriffe sind und daß Frankreich
nicht das besitzt, was einmal ein sehr witziger Mann mit dem Wort «Berlin hat
eine Mittel-Volee» bezeichnet hat. Die französische Mitte liegt in der äußern
Lebensführung und in den Ansprüchen wesentlich unter der deutschen, aber dafür geht’s
dann auch oben ganz hoch hinauf. Der große Reichtum... Davon kann ich nun wenig
berichten. Nicht etwa aus Verachtung, sondern weil ich diesen Kreis des Lebens
nicht abgeschritten habe, weil er mir fremd ist, weil meine finanziellen Mittel
nicht ausreichen, ich mir also meine Nase an der Glasscheibe platt drücken
müßte. Mir ist es nicht selbstverständlich, im Hotel du Palace abzusteigen, der
Apparat würde auf mir lasten, und ich käme über jene gequälte Ironie nicht
hinweg, die der Reporter anwendet, um zu zeigen, daß ihm das alles in keiner
Weise imponiert und daß er doch der bessere Mensch ist.
    Nach Biarritz bin ich aus
Pflichtbewußtsein gegangen. Die Fotografien in den Zeitschriften hätten mich
nicht gelockt: auf allen waren die weißbehosten Tennisspieler mit ihren Damen
zu sehen, das Meer und das Auto im Hintergrund, sie saßen — wie ländlich! — am
Wegesrand oder an kleinen Tischen mit Teekännchen und roten Sonnendächern.
    Die Kurliste sagt, wer alles in
Biarritz ist. Sie finden das in Ihrer eleganten Zeitschrift, wenn die es nicht
vorzieht, Heringsdorf zu fotografieren. Die Mistinguett soll auch da sein. Aber
Missia habe ich selbst gesehen, Missia, das dicke Stück aus dem Theaterchen
Perchoir zu Paris, eine himmlische, nicht mehr junge Person mit einem Gesicht
wie ein, sagen wir, Mond, einer Himmelfahrtsneese und frech! Frech wie Anton.
Sie geht mit einem jungen Mann über die Straße, tut recht vertraut mit ihm, und
ich bin maßlos eifersüchtig. Ich auch...!
    In dem kleinen Restaurant, wo
ich das Frühstück nehme und beileibe nicht esse, da sitzt mit Papa und Mama und
Brüderchen eine ganz junge Engländerin, ein Kind, sie ist vielleicht fünfzehn
oder sechzehn Jahre. Sie hat ein bißchen Sommersprossen, einen langen Kopf,
lange Finger — sie ist gar nicht hübsch. Aber sie ist unanständig, sie hat das,
was ältere Herren zu erheblichen Unvorsichtigkeiten verleitet, etwas
Verdorben-Frauliches, sie lockt... einmal rasch hinter der Hoteltür, wenn Mama
nicht hinsieht... Vielleicht macht’s ihr gar keinen Spaß, aber sie hat in ihren
verbotenen Büchern gelesen, daß es Spaß macht. Nun, man wird sie gut
verheiraten, und dann wird es wohl vorbei sein.
    Übrigens, das ist nun in so
einem fernen Badeort ganz besonders hübsch, daß nicht alle zehn Schritt jemand
auf der Straße wie angewurzelt stehenbleibt, einen mit idiotisch erfreutem
Gesichtsausdruck ansieht und brüllt: «Nein —!» Dergleichen ist Stenographie und
heißt: «Traue ich meinen Augen? Sie sind es natürlich nicht, denn Sie können ja
gar nicht in demselben Ort sein wie ich!» Und dann geht’s los, und der ganze
Vormittag ist flöten.
    Ciboure. Ich muß in die Réserve
de Ciboure, das habe ich in Paris aufbekommen. Nicht in die Hotels, nicht zum
Père Tolstoi, der mit schütterm Bart und schöner Tochter ein Nachtlokal leitet
— ich soll in die Réserve de Ciboure. Wenn ich muß...
    Der große Wagen flitzt durch
den Abend, läßt Biarritz hinter sich und biegt dann weit ins Land hinein.
Auffällig ist die vorzügliche Straßendisziplin der Fahrer. Nein, es ist viel
mehr als Disziplin und Verkehrsordnung und Angst vor dem ‹procès-verbal›, dem
Protokoll, der Strafanzeige: es ist echte, gegenseitige Rücksichtnahme. Nicht
ein Mal auf allen Fahrten in den Pyrenäen habe ich gesehen, daß die Chauffeure
sich Hindernisse in den Weg fahren, sich anärgern, es dem andern ‹aber
ordentlich besorgen wollen›. Sie veranstalten keine Wettrennen, die dem Herrn
schmeicheln sollen — «Na, Klumpke, nun zeigen Sie mal, was Sie können!» —
«Jawoll, Herr Generaldirektor!» — sie streiten sich nicht an den Wegkreuzungen,
wer das Vorfahrtrecht habe; es geht wie geölt. Daß die Wagen abénds die
Scheinwerfer ausschalten und sich zwinkernd, um den andern nicht zu blenden,
grüßen wie Schiffe, die nachts sich begegnen — das geschieht ja wohl in
Deutschland auch. Aber diese fast ritterliche Art: Bitte nach Ihnen! die ruhige
Freundlichkeit, mit der auch die schnellen Touren ausgefahren werden — das ist
angenehm zu sehen. Man fühlt sich sicherer.
    Bidart, Guéthary, über den
kleinen
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