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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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Marktplatz von Saint-Jean-de-Luz mit den lustigen verkrüppelten
Bäumen... dann biegt der Wagen an einem Hafen rechts ab und fährt vor.
    Die Réserve de Ciboure ist eine
kleine Terrasse, die an einer Bucht liegt: die Lichter von Biarritz flimmern
herüber, es ist schon ein bißchen kühl, und die Kapelle wird sich erst warm
arbeiten müssen. Kleine Tische mit Lämpchen, in der Mitte eine Tanzfläche. Man
muß vorher reservieren lassen, es gehört zum guten Ton, hier einmal zu
soupieren, was man sagen darf, ohne prätentiös zu erscheinen, denn es wird erst
um zehn Uhr abends gegessen.
    Leider nicht sehr gut. Wenn ich
zu den Indianern fahre, will ich es indianisch haben. Auch über den Sekt gibt
es nichts zu lachen. Und da sitzen sie also.
    Sehr viel Fremde: Südamerika,
die Staaten, England, Amerika, England. Dessen Männer sehen wie immer gut aus,
die Amerikanerinnen fürchterlich. Wenn man sie so dasitzen sieht, denkt man an
Klavierlehrerinnen, die sich einen feinen Sonntag gemacht haben; sie tragen
Schmuck, den man ihnen gekauft hat, aber er blitzt verräterisch zu andern
hinüber: er fühlt sich nicht wohl bei ihnen. Sie sind völlig an ihn gewöhnt;
aber er tut ihnen nicht den Gefallen, sie zu schmücken. Sie wissen, daß sie
hier in einem Amüsierlokal sind, und so amüsieren sie sich denn. Und weil dies
kein einheitlicher Kreis von guten Leuten ist, der zusammengehört, sich kennt,
aufeinander abgestimmt und eingespielt ist: so fehlt jene Luft, die erst den
Reiz und den Witz großer Empfänge und garden-parties ausmacht; es ist einfach
eine bezahlte Sache. Ich empfinde zum dreihundertsten Male auf dieser Erde:
‹große Welt› kann man nicht kaufen, indem man in einem Hotel ein Diner bezahlt;
das ist Aberglaube. Man wird hineingelassen, aber man gehört nicht dazu. Und
wäre nicht das geschwellte Bewußtsein so vieler Snobs, die hier keine Reserve
de Ciboure, sondern nur ihre falsche Überlegenheit über die armen Luder zu
Hause erleben — sie langweilten sich noch mehr. Übrigens glauben sie,
Vornehmheit färbe ab, und sie sind so stolz auf das Geld der andern.
    Eines allerdings muß man hier
allen nachloben: die Haltung ist selbstverständlich. An keiner Stelle findet
sich: «Na, was sagt ihr nun? Hier sitze ich und trinke so teuern Sekt!»
Nirgends. Diese abendlichen Tische, diese Tanzkapellen, dies Essen und dieser
Wein — das ist ihr Leben, sie sind nicht darüber erstaunt, und sie verlangen
von keinem, daß er sie bewundere.
    Der Nebentisch ißt. Andere
Leute soll man nicht beobachten — und es wird hier auch nirgends getan. Man
kann durch ganz Frankreich, einschließlich Paris, fahren, ohne daß einen alle
Leute anstieren, einsortieren, die Bilanz ziehen, das Inventar aufnehmen. «Was
mag der sein —? Akademiker? Industrie? Diplomat? Weniger als ich? Hurra! Mehr
als ich? Dann wollen wir ihn wenigstens bewundern —!» Ich brauche auch gar
nicht hinzusehen, ich weiß, wie sie essen.
    So oft ist mir schon
aufgefallen, was geschieht, wenn die reichen Leute zu essen bekommen: sie sehen
dem Kellner auf das herbeigebrachte Futter, mit einem scheinbar gleichgültigen,
aber doch gespannten Ausdruck, es rinnen ihnen sozusagen die geistigen
Appetitfäden aus dem Gehirn, schwer sitzen sie da: ‹Das steht mir zu, das ist
meins›, und ich bin überzeugt, sie fingen an zu knurren, wenn’s ihnen jetzt
einer wegnehmen wollte. Es ist eine heilige Handlung, ihr Essen, nicht nur, weil
es so gute Sachen sind, sondern weil der Herr nun bedient wird. Die Käfigwärter
tun alles, um diesen Glauben zu stärken. Sie tragen die dünnste Gemüsesuppe wie
eine Hostie heran, sie schöpfen behutsam ein, sie tranchieren wie ein Chirurg,
subtil, mit äußerster Aufmerksamkeit, und sie halten den Pudding, wie man ein
Kindchen wiegt. Stille! Der Herr ißt.
    Worauf die Musiker ‹Tea for
two› spielen und die Leute tanzen. Sie tanzen geschäftlich: sehr ernst,
ganz und gar egoistisch, durchaus mit sich beschäftigt, die andern Paare gibt
es nicht. Mit Erotik hat das so wenig zu tun wie ein Telefongespräch: es kann
damit zu tun haben, aber im Wesen der Sache liegt es nicht.
    Jetzt, nachdem alle gegessen
haben, breitet sich jene weltversöhnliche Stimmung aus, die einen so nach
vollkommner Sättigung beschleicht. Sie ist der konservativen Weltanschauung
durchaus förderlich: ein Verdauender empfindet es als störend, wenn jemand
giftige Gespräche führt. Nicht, nicht... die Welt ist doch so schön...!
    Übrigens wird es jetzt
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