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Ein Pyrenäenbuch

Ein Pyrenäenbuch

Titel: Ein Pyrenäenbuch
Autoren: Kurt Tucholsky
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und Buddhismus durchweg die Thiere
spielen, verglichen mit der totalen Nullität derselben im Juden-Christentum,
bricht, in Hinsicht auf Vollkommenheit, diesem letzteren den Stab; so sehr man
auch an solche Absurdität in Europa gewöhnt sein mag.» Und:
    «Man sehe die himmelschreiende
Ruchlosigkeit, mit welcher unser christlicher Pöbel gegen die Thiere verfährt,
sie völlig zwecklos und lachend tötet oder verstümmelt oder martert, und selbst
die von ihnen, welche unmittelbar seine Ernährer sind, seine Pferde, im Alter
auf das äußerste anstrengt, bis sie unter seinen Streichen erliegen.» Denn:
    «Man muß an allen Sinnen blind
oder durch den foetor judaicus völlig chloroformiert sein, um nicht einzusehen,
daß das Thier im wesentlichen und in der Hauptsache durchaus dasselbe ist,, was
wir sind, und daß der Unterschied bloß im Akzidenz, dem Intellekt liegt, nicht
in der Substanz, welche der Wille ist. Die Welt ist kein Machwerk und die
Thiere kein Fabrikat zu unserm Gebrauch.» Daher:
    «Nicht Erbarmen, sondern
Gerechtigkeit ist man dem Thiere schuldig.»
    Also keine Grausamkeit. Mangel
an Gefühl.
    Neben mir sitzt ein
hervorragend unangenehmer junger Herr, er ist mit zwei Brautens erschienen und
hat einen gar großen Mund. «Ho!» und «Ohé!» schreit er, er erteilt Noten an
Stiere, Pferde und Matadore, er leitet die Sache gewissermaßen. Als der Stier
einmal dringend in einem Pferd beschäftigt ist, ruft er dem Pferd hinüber: «Das
hast du nicht gern, was? Das kann ich dir nachfühlen!» Mit dem setze ich mich
ins Gespräch. Und er sagt, ganz und gar bezeichnend, in einem besonders
scheußlichen Moment: «Mais regardez donc le toréador — le reste n’existe pas!»
Für ihn nicht. Für keinen.
    Immer noch Pferde. Der erste
Stier ritzt eins auf und erledigt die zwei nächsten. Jetzt ist er böse und
ermüdet. Und nun bekommt er es mit den Menschen zu tun.
    Alles, was hier geschieht, hat
seine jahrhundertalten Riten. Jede Bezeichnung, jede Bewegung, jede Möglichkeit
ist traditionell. Zu dieser Tradition gehört die ‹suerte› der Banderillas.
Diese Piken, die dem wütenden Stier in den Nacken gesetzt werden, um ihn noch
wütender zu machen, werden ihm vorher gezeigt, es ist ritterlich, ihn darauf
aufmerksam zu machen, was nun kommt, und vielleicht interessiert es ihn auch. Der
Banderillenmann stellt sich also zehn Meter vor dem Tier auf, dessen Flanken
wie ein Blasebalg gehen, hebt die Piken hoch, senkt sie langsam, es ist, als
wolle er den Stier mit zwei Zauberstöckchen beschwören: dann läuft er den Stier
an. Es ist die graziöseste und eleganteste Bewegung, die ich in diesem
Stierkampf gesehen habe: das Leben des Mannes hängt an zwei Zentimetern. Der
Stier sieht ihn kommen, er schnaubt ihm entgegen, er stößt nach ihm — in die
Luft, da hängen die Banderillas an seinem dicken Nacken, schwanken auf und ab,
etwas Blut rieselt an ihnen herunter... Der Läufer hat nur eine ganz kleine
Bewegung gemacht, um dem Stoß auszuweichen, der eben erst die Pferde
aufgeschlitzt hat.
    Jetzt ist der Stier ernsthaft
wütend. Er brüllt, klagend und drohend, er wirft mit dem Vorderfuß Sand auf,
versucht die langen Stäbe mit den Widerhaken abzuschütteln — und bohrt sie sich
tiefer ins Fleisch. Wieder umspielen ihn die Mäntel der Capeadore, ein zweites
Paar Banderillas wird ihm gesetzt, diesmal war der Läufer so dicht dran, daß er
fast zwischen den Hörnern stand — das Publikum rast. Und nun noch ein drittes
Widerhakenpaar. Inzwischen ist ein ruhiger Mann vor die Präsidentenloge
getreten.
    Der Stier sieht nichts, denn er
ist mit seinen Tüchern befaßt. Aber was da zwischen dem Präsidenten und dem
Mann in der Arena mit Kniefall und Zylindergruß ausgemacht wird: das ist der
Tod. Der Mann läßt sich einen Degen und ein rotes Tuch geben.
    Der Stier stürzt sich auf das
rote Tuch wie ein Stier auf das rote Tuch. Der Mann hat kaum einen Schritt
beiseite getan. Und nun zeigt er ihm den scharfgeschliffnen Degen. Der Stier
sieht dumm herüber — er steht jetzt ganz nahe vor mir, es ist ein schwarzes
großes Tier, an der nassen Haut läuft das rote Blut in kleinen Bächen herunter.
Alle paar Sekunden blitzt etwas Weißes in seinem Auge auf, wie ein Funke, ein
Lichtschaum. Der Toreador geht auf ihn zu, zielt...
    Da steht der Stier mit dem
Degen oben im Rücken und seinen drei Paar Widerhaken und tobt. Ist das das
Ende? Die Zuschauer sind begeistert — aber es ist nicht das Ende. Einen zweiten
Degen,
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