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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Titel: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
Autoren: Sibylle Berg
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Bordbibliothek ins Wasser. Bücher, die es nicht besser verdient haben. In den Vorworten zu den Büchern schreiben Menschen, die wahrscheinlich Haus-meister der Buchverlage sind, Wörter wie: Bemerkenswert. Ungewöhnlich. Die Bücher treiben sehr schnell ab.
    Interessiert schaue ich das Meer an. Hat sie doch versteckte Qualitäten, die alte Plörre. Die Tage werden länger. Unsere Lebensgeschichten sind erzählt, keiner von uns beiden mag mehr über Liebeskummer oder Schiffskatastrophen reden. Noch neun Tage. Wir sind im Delirium. Ich habe an meinem Körper Haufen entdeckt, die eindeutig der zer-fleischenden Tätigkeit des Beriberi-Wurms zuzuschreiben sind. Wir hören auf zu reden, der Fotograf und ich, am elften Tag. Weil wir nicht mehr reden wollen, singen wir.
    Lieder über den Beriberi-Wurm, über Ausscheidungen, über den Tod im Wasser. Ab und zu gehen wir zu den philippinischen Matrosen und singen mit denen. Die sind traurig, weil sie weit weg von ihrem Zuhause sind. Ich habe kein Zuhause. Das wäre, wo das Herz ist, und das liegt zertreten an irgendeinen Flughafen. In der Speisehalle hängt eine Seekarte. Jeden Tag rückt ein kleines Fähnlein ein winziges Stück näher auf die amerikanische Küste zu.
    Wir gucken das Fähnlein an, als ob es schneller rücken würde dadurch. Das Fähnlein ist das Schiff und es ist rot, rot, rot, und das Meer ist das Meer. Auf der Karte ist es blau, aber Karten lügen. Noch fünf Tage auf dem Meer. Unsere Ausflüge werden seltener. Noch vor ein paar Tagen haben wir Dinge unternommen, wie zusammen Wäsche gucken in der Waschmaschine oder in die Schiffssauna gehen. Wir haben eine Stunde in der ungeheizten Sauna gesessen und Lieder gesungen. Vor ein paar Tagen war noch was los.
    Noch vier Tage. Wir liegen apathisch im Bett. Ich habe keinen Liebeskummer mehr. Was ist Liebe, wenn es ums Überleben geht? Unsere Haare sind fettig, dem Fotografen steht ein häßlicher Bart. Ich habe viele Pickel, von der Kälte, vom Lichtmangel. Wir suchen in unserer Kabine mit den Augen nach Insekten. Muß man auf Schiffsfahr-ten nicht irgendwann immer Insekten essen? Wir wollen nichts mehr, nicht mit den philippinischen Matrosen singen, nicht mehr atmen und keine Taue mehr anschauen. Wir wollen noch nicht einmal mehr über Bord springen. Als der letzte Tag anbricht, können wir uns nicht wirklich freuen. Schwankend stehen wir auf der Brücke, Starren auf das Meer. Und nach ein paar Stunden Starren kommen die ersten Möwen. Heiser rufen wir ihnen Be-schimpfungen zu. Und dann taucht Land auf. Wir singen müde die amerikanische Nationalhymne. Als das Schiff anlegt, schwanken wir das Treppchen zum Festland hinab.
    Traurig winken die Matrosen. Sie müssen zurück in die Hölle, und wir haben sechzehn Tage Isolationshaft über-lebt. Ganz schnell gehen wir von dem Schiff weg, als könnte uns jemand fangen und da wieder drauftun.
    Als ich dann hundert Stunden später wieder in Hamburg bin, in meinem Bett liege, das immer noch schlingert, fühle ich so etwas wie leises Glück. Draußen steht der Mond. Ich bin zu Hause. Ich lebe und ich bin vom Liebeskummer ge-heilt. Gerade als ich das so denke, schiebt sich etwas über den Mond. Macht ihn unscharf. Läßt ihn verschwimmen, tunkt sein gelbes Licht in eine Suppe, in eine verdammt rote Suppe, die irgend jemand über diesen bescheuerten Mond geschüttet hat. Und ich denke, verfluchter Mist, ich muß schnell wieder wegfahren, denke ich.
    PAUL (who's the fucking Paul?) fährt nach Marrakesch Ich bin wieder nach Marrakesch gefahren. In Italien ist nichts los. Zu europäisch. Europa ist dem Tod geweiht, und europäische Frauen können nicht ficken. Zu sehr Kopf.
    Marrakesch ist da was anderes. Die Frauen, die du im Orient haben kannst, holst du dir in Diskos. Sie sind warm und rund. Allerdings ein bißchen wie eine Zeitung im Bett.
    Im Cafe Glacier treffe ich so einen Typen. Ein Deutscher.
    Ich rede mit dem. Es stellt sich heraus, daß er Bettina kennt, die ist gerade nach Hongkong abgereist. Die Welt ist klein. Der Typ ist genervt von Frauen. Versteh ich sehr gut.
    Eigentlich kann man nur mit Nutten richtigen Spaß haben. Da ist einfach alles klar. Mit einer normalen Frau schläfst du, und dann bekommst du die Rechnung. Dann geht es los mit den Gefühlen. Der Typ ist so genervt, daß ich ihm einfach was Gutes tun muß. Ich werde ihn erst mal mit in die Disko nehmen, zu richtigen Frauen, und morgen werde ich ihm die Wüste zeigen. Da vergißt du alles, in der Wüste.
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