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Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot

Titel: Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot
Autoren: Sibylle Berg
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Hades. Unten, zu den Füßen der Dinge, die nicht ganz klar sind, laufen Menschen. Sie steigen in U-Bahnen, die in Unterleibern von Kaufhäusern halten, um zu kaufen, sie laufen in Passagen, die die Stadt unterhöhlen und die keinen Ausgang haben, und kaufen. Das ist in der Hölle aufwachen. Kaufen ohne Sinn. Kaufen, bis alle dran sterben. An den Rändern der Straßen sitzen Frauen auf Plastikplanen und fotografieren sich, und was sie gekauft haben. Sie zeigen sich dann die Fotos, auf denen sie mit dem Gekauften drauf sind. Ich frage die Frauen, warum sie da sitzen, im Regen, auf Plastikplanen am Rande der Straßen. Sie sagen: Weil es sonst nicht viele Plätze gibt, wo man sitzen kann. Ich laufe durch Hongkong und sehe nichts von der Stadt. Über meinem Hirn ist eine große Kontaktlinse mit einem roten Haarfleck drauf. Ich in Hongkong, im Regen, schaue verschwommen auf Dinge, die Hochhäuser aus dem Mittelalter sind. Wie Bäuche, schon lange geöffnet, stehen sie da in unbeug-samer Häßlichkeit. Ich und die Häuser, und nachts um zwei wollen wir an Bord eines Frachtschiffes gehen. Ein Fotograf und ich. Wir sitzen im Regen im Frachthafen und warten auf das Schiff, das uns über den Pazifik bringt, nach Amerika. Und das mir helfen soll, in sechzehn Tagen ein Geschwür in Männerhöhe aus meiner Seele zu operieren.
    Im Frachthafen sind außer uns große Kräne, Laternen und sehr große Insekten, und wir können uns die ganzen Sachen sehr lange ansehen, denn unser Schiff legt erst um fünf an. Ein dickes Schiff, mit einigen Millionen Bruttore-gistertonnen. Ein in Polen gebautes Schiff. Unsere Kabine ist eingerichtet wie eine Bahnhofsgaststätte in Warschau-Nord. Neonröhren und festgeschraubte Preßholzmöbel.
    Vor der Häßlichkeit gibt es kein Entkommen. Ist sie in dir, wird sie dich immer begleiten.
    Das Schiff fährt los. Die Lichter der Stadt blinzeln müde.
    Der ist völlig egal, ob wir bleiben oder fahren, um im Meer unterzugehen, weil wieder einer eine Tür nicht zugemacht hat. Auf dem Schiff befinden sich außer uns viele Container, drei Rentner, zwanzig philippinische Matrosen, ein mürrischer deutscher Kapitän und ein deutscher Maschi-nist. Am ersten Tag laufen wir auf dem Schiff herum. Wir gucken die Container an, die Stahlplanken, die Rettungs-boote und das Meer. Am zweiten Tag laufen wir auf dem Schiff rum, achten diesmal auf Nuancen. Sieh mal, wie unterschiedlich all diese Container beschriftet sind, schau mal, ein besonders hübsches Tau. Am dritten Tag laufen wir nicht mehr herum. Die Möglichkeiten, etwas Neues zu entdecken, sind dünn. Es ist überdies kalt geworden am dritten Tag. Da mag keines rausgehen in die Kälte, um sich Container anzusehen oder das graue Meer. Nach dem dritten Tag also gewinnen die Mahlzeiten eine wichtige Bedeutung, zerteilen die Monotonie in drei Gänge. Unter-brechen den inneren Monolog durch Überlegungen. Ob es Reis oder Kartoffeln geben mag, solche Überlegungen sind das. Die Sachen auf dem Teller verschwimmen am vierten Tag. Sehen aus wie das Meer nach vier Tagen. Das ist grau.
    Es regnet. Es ist kalt auf dem Meer und in der Kabine auch.
    Abends sitze ich auf dem Schiff, wo es nicht mehr höher geht, und gucke das Meer an. Ich höre irgendein Requiem, wo es ums Ende geht, schaue ins Graue und denke dar-
    über nach, daß Liebe nur eine Illusion ist. Die uns am Leben halten soll. Und der wir hinterherlaufen und damit dem Tod weg. Es geht mir bedenklich. Ich gucke das Meer an. Eine Woche auf See hält kein Liebeskummer aus. Ich konzentriere mich, um den Schmerz nicht sterben zu lassen. Ist er doch wenigstens ein Gefühl. Sitze ich hier auf diesem fremden Schiff. Nicht gewollt von einem Mann, der mit seinem kleinen, warmen Körper eine andere zudecken wird, irgendwann mit seinen runden Händen streicheln wird. Alle, außer mir. Ich wanke zur Reling. Da, wo ich stehe, ist sie 30 Meter über dem Meer, das Meer fließt schnell weg. Wie schnell würde ein Mensch wegfließen, der da reinfiele? Würde alleine zurückbleiben in der End-losigkeit. Fühlen, wie salziges Wasser in seine Lungen dringt. Sich anders besinnen. Leben wollen. Ist aber zu spät. Gestorben muß sein. Geht der Körper unter, füllt sich ganz aus, mit Wasser, mit Moder mit Flüssigkeit, die das Blut verdrängt. Panik in den Augen, wenn die brechen.
    Ein letzter Blick auf ein kleines, weit entferntes Schiff, mit dem das Leben wegschwimmt.
    Am nächsten Tag machen wir Experimente. Wir werfen einige Bücher der
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