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Ein Mund voll Glück

Ein Mund voll Glück

Titel: Ein Mund voll Glück
Autoren: Horst Biernath
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rot.
    »Drei Minuten Pause«, sagte Fräulein Danner. »Werktags wird der Verkehr durch Polizei geregelt, dann geht es rascher. Trotzdem bumsen hier jeden Tag mindestens drei Autos aufeinander. Die Tore stehen unter Denkmalschutz, sonst wären sie längst abgebrochen worden.«
    »Das wäre aber wirklich jammerschade!«
    »Finden Sie die alten Tortürme so hübsch?«
    »Sehr hübsch — und wenn ich nicht in München leben müßte, dann würde ich mich im Chiemgau oder im Innviertel niederlassen.«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
    »Mein voller Ernst! Oder stellen Sie sich das Leben in München besonders lustig und aufregend vor?«
    »Aufregender als in Harpfing auf jeden Fall!«
    »Was man so unter aufregend versteht... «, murmelte er, »das ist zu einem großen Teil auch eine Frage des Geldes. Würden Sie gern in München leben?«
    »Was für eine komische Frage! Da gibt es doch nichts zu überlegen. Haben Sie schon einmal in solch einem Nest gelebt?«
    »Ich habe meine Kindheit bis zum zwölften Lebensjahr in Ochsenfurt verbracht. Mein Vater war dort Lehrer. Er ertrank im Main, als er einen Buben retten wollte, der beim Holzfischen ins Wasser gefallen war. Ich war gerade vier Jahre alt, als das Unglück geschah. Und als ich zwölf war, starb auch meine Mutter. Tante Hedwig, die Frau meines Onkels Paul Berwanger, ist eine Schwester meiner Mutter. So kam ich zu Berwangers nach München. Aber Ochsenfurt mit seinen Mauern und Türmen und Obstgärten rings um die Stadt und den Altwassern vom Main, in denen wir Buben badeten und fischten und Schlittschuh liefen, das alles verliere ich nie aus dem Gedächtnis, und dem traure ich heute noch ein wenig nach.«
    »Waren Sie inzwischen oft dort?«
    Er schüttelte den Kopf: »Nein, nie mehr...«
    »Dann sollten Sie aber schleunigst hinfahren und ein paar Wochen in Ochsenfurt verbringen. Vielleicht wären Ihre Erinnerungen dann etwas weniger sonnig.«
    »Meinen Sie?« fragte er und grinste sie belustigt an.
    »Ja, das meine ich!« nickte sie.
    Sie hatten Harpfing längst verlassen und fuhren auf einer kurvenreichen Straße durch eine hügelige Landschaft mit kleinen Bauernwäldern, Kornäckern und Viehweiden der Grenze entgegen. Im Süden standen die Berge zartgetuscht vor dem Horizont, Lattengebirge, Predigtstuhl und Untersberg, und darüber weiß mit dem hellen Himmel verschmelzend und mehr geahnt als gesehen, Watzmann und Hochkalter. Auch ohne die Gegenwart von Onkel Paul ließ Werner Golling den Wagen in gemächlichem Tempo laufen. Er hatte das Schiebedach mit Fräulein Danners Einwilligung und Hilfe geöffnet, die Sonne wärmte angenehm, und er genoß die Fahrt an der Seite eines jungen Mädchens, das er sehr sympathisch fand. Sie hatte die blonden Haare zu einem Knoten aufgesteckt, aus dem der Fahrtwind eine kleine Strähne herauszerrte. Es war durchaus möglich, daß sie in ferner Zukunft die üppigen Formen ihrer Mutter bekam, aber wenn sie nicht gerade ins Hotelfach hineinheiratete und dadurch gezwungen wurde, allzu häufig Suppen und Soßen abzuschmecken, war anzunehmen, daß ihre Eitelkeit sie davor bewahren würde, der tüchtigen Mutter in jeder Beziehung nachzustreben.
    »Worüber denken Sie nach, Herr Doktor?« fragte sie plötzlich, und er, auf solch weit in die Zukunft reichenden Gedanken ertappt, fühlte verlegen, daß ihm das Blut ins Gesicht stieg.
    »Ach, lassen Sie doch den Doktor, Fräulein Danner, der ist fürs Praxisschild nützlich, aber sonst lege ich wenig Wert darauf...«
    Sie blinzelte ihn von der Seite an. »Also schön, Herr Golling, ich fragte, worüber Sie so angestrengt nachdachten?«
    »Ich habe nicht nachgedacht. Ich habe nur so geschaut...«, er stotterte ein wenig, »um ehrlich zu sein — ich habe Ihr Haar bewundert, besonders den Knoten —, er steht Ihnen fabelhaft zu Gesicht...«
    »Ich muß Sie leider enttäuschen, Herr Golling, aber der Dutt hing vor einer Stunde noch neben dem Spiegel.«
    »Ich bin nicht im mindesten enttäuscht«, sagte er mit einem kleinen Lachen, »ich bin höchstens überrascht — über Ihre umwerfende Ehrlichkeit.«
    »Unangenehm überrascht?«
    »Im Gegenteil!«
    Sie sah ihn von der Seite an, als traue sie ihm nicht recht: »Fürs Hotelgewerbe eignet sich meine Art von Ehrlichkeit jedenfalls nicht!« stellte sie fest. »Es geht mir einfach gegen den Strich, mich von alten Weibern sekkieren zu lassen und dazu zu schnurren. Übrigens können alte Kerle genauso ekelhaft sein — oder sogar noch
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