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Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)

Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)

Titel: Ein Menü zum Verlieben: Roman (German Edition)
Autoren: Amy Bratley
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musste er insgeheim gewesen sein. Gründlich untersuchte ich das Bild auf einen Hinweis für sein künftiges Tun, doch wie ich es mir schon gedacht hatte, gab es keinen. Er hielt einen Plastikbecher mit Bier in die Kamera, als ob er auf etwas anstoßen wollte. Ich legte das Bild auf meinen Schoß und schloss die Augen. Vielleicht war ja das der Hinweis.
    »Ethan Miller«, murmelte ich. »Was mag wohl aus dir geworden sein? Nicht, dass es mich interessierte.«
    Als der Bus die Borough High Road, durch Camberwell Green am King’s College Hospital und an der Denmark Hill Station vorbeirumpelte, schossen mir Erinnerungsbilder von Ethan durch den Kopf: wie er ganz konzentriert eine Zigarette rauchte; mühelos ins Italienische verfiel, wenn er mit seinen Eltern sprach; mit einem Glas Whiskey in der Hand einen Auftritt in einem dunklen Schuppen verfolgte, sich umdrehte und mich anstrahlte, als ob nur wir zwei verstehen würden, um was es ging; wie er im Park auf dem Rasen lag, in den Himmel hochschaute und so herzhaft lachte, dass sein ganzer Körper bebte; wie er weinte, was in den zwei Jahren nur einmal vorgekommen war, als er mir von seinem immer wiederkehrenden Albtraum erzählte, der ihm den Schlaf raubte.
    Ich hielt das Foto in der Hand und schluckte meine Tränen hinunter. Ich hatte ihn mit einer solchen Leidenschaft geliebt, dass es schon fast verrückt gewesen war. Doch das alles war Geschichte. Ungeklärte Geschichte, die ich vergessen wollte. Inzwischen hatte ich ein neues Leben. Und ein glänzendes dazu.
    Fünf Minuten später schaute ich aus dem Fenster des Busses, sah eine Reihe dreistöckiger Viktorianischer Reihenhäuser mit roten, grünen und blauen Türen und begriff, dass wir an meiner Haltestelle Goose Green in East Dulwich angekommen waren, ein Stadtteil, der mittlerweile von miesen Immobilienmaklern als ein Zuhause für Künstler und Kreative angepriesen wurde, was die Preise noch mehr in die Höhe schießen ließ. Das Foto in der Hand, drückte ich den Halteknopf, worauf der Fahrer einen Schlenker machte und alle Leute, die in den Gängen standen, ineinandergeschoben wurden und sich auf die Füße traten.
    »Entschuldigung«, sagte ich zu dem Mann neben mir, als ich mir meinen Weg zum Ausstieg bahnte. Dabei glitt mir das Foto aus der Hand und fiel auf den Boden. »Oh, Mist. Mir ist das Foto …«
    Die Türen schlossen im Bruchteil einer Sekunde, kaum war ich ausgestiegen und stand auf dem Bürgersteig. Ich schlug mit der flachen Hand gegen das Glas, doch der Fahrer beachtete mich nicht. Dann stellte ich die Taschen auf dem Gehweg ab und holte tief Luft. Ich hatte das Foto von Ethan verloren. Ich sagte mir, dass es lächerlich wäre, sich darüber Gedanken zu machen oder es sogar als Treulosigkeit Joe gegenüber auszulegen.
    Es mag kitschig klingen, doch Joe trat zu einem Zeitpunkt in mein Leben, als ich an einem absoluten Tiefpunkt angekommen war, und nahm mich mit auf seinem weißen Hengst. Er verdiente meine ganze Liebe. Was spielte es schon für eine Rolle, dass dieses Foto zertrampelt werden würde. Mein Herz hatte das gleiche Schicksal durch Ethan erfahren. Ich schaute dem Bus nach, der zuerst den Hügel hochtuckerte, dann aus meiner Sicht verschwand und nur noch eine riesige schwarze Abgaswolke hinterließ.
    »Vergiss das Foto!«, sagte ich mir. »Du musst jetzt wirklich in die Hufe kommen!«
    Ich schaute auf mein Handy. 16.00 Uhr. Damit blieben mir gerade noch drei Stunden, bis die Gäste des Saturday Supper Club vor meiner Tür stehen würden, und es gab noch einiges zu tun. Mir brach der Schweiß aus, und ich spürte, wie er mir auf die Augenbrauen hinunterlief. Die Vorstellung, im Wettlauf mit der Zeit für Fremde kochen zu müssen, jagte mir allmählich Angst ein.
    »Du bist mir was schuldig, Joe«, murmelte ich, während ich mich auf den Weg nach Hause machte und meine Gedanken wieder zu dem verlorenen Foto von Ethan zurückwanderten. Ich hatte, kurz nachdem er mich verlassen hatte, den größten Teil unserer Fotos in einem Anfall von Wut und nach übermäßigem Alkoholkonsum zerrissen und es natürlich sofort bedauert und auf klägliche Weise versucht, sie wieder zusammenzukleben. Doch das war nicht das Schlimmste gewesen. Ich zuckte zusammen, als ich an die zahllosen wütenden Gedichte voller Angst dachte, die ich in mein Tagebuch gekritzelt hatte. Gott sei Dank hatte ich sie ihm nie geschickt oder irgendeiner anderen Menschenseele je gezeigt. Ich besaß sie immer noch – als mahnenden
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