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Ein Mann - Kein Wort

Ein Mann - Kein Wort

Titel: Ein Mann - Kein Wort
Autoren: Beate Weingardt
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Verhalten, er solle gefälligst mal in sich gehen und über sich nachdenken.
    Was würde eine Frau, die soeben verlassen wurde, an dieser Stelle tun? Sie würde, wenn ihr etwas an dem Mann liegt, möglicherweise spontane Wut zeigen – aber in absehbarer Zeit würde diese Wut einer tiefen Traurigkeit oder Enttäuschung Platz machen. Während Wut die aggressive Reaktion auf eine seelische oder körperlicheVerletzung ist, die den eigenen Schmerz durch den Versuch eines Gegenangriffs zu lindern versucht, stellt eine die Wut irgendwann ablösende Trauer die eigentlich angemessene Reaktion auf unabänderlichen seelischen Schmerz dar. Denn der Schmerz wird in der Trauer nicht abgewehrt, sondern zugelassen.
    Von Trauer ist jedoch in dem zweistündigen Monolog des Hauptdarstellers keine Andeutung zu hören, zu sehen oder zu spüren. Stattdessen geht er von der Wut nahtlos über ins Analysieren, Räsonieren, Argumentieren, Spekulieren … – sprich: Er versucht, das ganze Drama von seiner Person wegzuschieben, indem er sein Schicksal auf eine »allgemein menschliche« Ebene hievt und zu einer unpersönlichen Grundsatzfrage macht, frei nach dem Motto: »Es geht hier nicht um meine Partnerin und mich – es geht um Männer und Frauen ganz allgemein!«
    Mit dieser »Versachlichung« macht »er« das, was er am besten kann: über Sachthemen reden, ohne sich als Person, ohne die eigenen Gefühle dabei ins Spiel bringen zu müssen. Allenfalls gelegentliche Anflüge von offen geäußertem Selbstmitleid (gefördert durch Alkoholkonsum) deuten an, dass er
seelisch
leidet. Doch dieses Leid verbirgt sich hinter einem Wortschwall, hinter Flucht in die Aktivität (dargestellt unter anderem durch ruheloses Herumrennen auf der Bühne) und hinter Sarkasmus.
     Doch auch eine Frau hätte, gerade »in die Wüste geschickt«, aus ihrer Wut und dem darauf folgenden Schmerz, aus ihrer Trauer, irgendwann auftauchen und nachdenken müssen. Das hätte sie auch getan – doch sie hätte, und das halte ich für den zweiten gravierenden Unterschied, mit großer Wahrscheinlichkeit angefangen, ganz konkret über sich, ihren Partner und die bisherige Beziehung nachzudenken. Möglicherweise hätte sie dabei die falschen, kaum weiterführenden Fragen gestellt (»Wer ist schuld? Warum erwische
ich
immer solche schwierigen Typen? Was ist an mir so verkehrt, dass ich immer wieder verlassen werde? Warum sind Männer so grausam?«) – aber sie hätte sicher nicht versucht, ihre persönliche Betroffenheit und Verunsicherung unverzüglich zu »rationalisieren«und daraus ein allgemeines Sachthema zu machen. Der Mann jedoch schafft es, das Thema so zu »behandeln«, dass er sich selbst dabei nicht oder nur ansatzweise infrage stellen muss.
     Auch einen dritten Unterschied hätte man meines Erachtens beobachten können, wenn eine Frau betroffen gewesen wäre: Obwohl das Stück damit beginnt, dass der Darsteller mit einem Freund oder Bekannten telefoniert und nach Ende des Telefonats feststellt, dass seine Partnerin ihm soeben den Laufpass gegeben hat, kommt er in den folgenden zwei Stunden
nicht ein einziges Mal
auf die Idee, in seiner Betroffenheit und Hilflosigkeit eben diesen Freund noch einmal anzurufen. Was läge näher, als ihm seine Lage zu schildern, bei ihm seelischen Beistand – oder vorläufigen Unterschlupf – zu suchen? Offenbar liegt es für die meisten Männer weitaus näher, psychisches Leid sowie persönliche Probleme und Beziehungsschwierigkeiten für sich zu behalten und sie in inneren Monologen ganz allein mit sich selbst abzumachen. Es würde sie vermutlich enorme Überwindung kosten, einem Dritten gegenüber ihre Trauer, aber auch ihre Hilf- oder Ratlosigkeit zu formulieren und einzugestehen. Und eine Frau? Eine Frau hätte mit ziemlicher Sicherheit bald, nachdem sie den Rausschmiss bemerkt hätte, zum Handy gegriffen und jemanden angerufen, der ihr nahesteht – vielleicht die Freundin, mit der sie soeben noch telefonierte, oder eine andere Person, zu der sie Vertrauen hat. Sie hätte das Bedürfnis gehabt, ihre seelische Betroffenheit mit jemandem zu teilen, der oder die ihr möglicherweise Unterstützung, Einfühlung und Verständnis entgegenbringt. Sie hätte keineswegs erwartet, dass der Mensch, den sie anruft, ihr eine »Lösung« ihres Problems anbietet – es hätte ihr zunächst völlig genügt, mit ihm ausgiebig über ihr Befinden reden zu können.
    Wohlgemerkt: Auch der Mann redet in dem Stück, er redet enorm viel, und er redet
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