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Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Ein Lord zu Tulivar (German Edition)

Titel: Ein Lord zu Tulivar (German Edition)
Autoren: Dirk van den Boom
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Selur und mich an der Zeit, zum eigentlichen Grund unseres Besuches zu kommen. Eine Ernennungszeremonie wie diese war immer ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Die Gäste wurden bewirtet und erhielten die Gelegenheit, nicht nur Zeuge eines historischen Vorganges zu sein, sondern auch das Ohr des neuen Grafen zu erhaschen und Bitten und Fragen zu äußern. Auf der anderen Seite aber mussten diese Bitten und Fragen, wollten sie tatsächlich die Aufmerksamkeitsschwelle des Grafen überschreiten, mit einem gewissen Nachdruck vorgetragen werden. Dieser Nachdruck bestand im Regelfalle aus Geschenken. Die Übergabe dieser Geschenke war ein fester Bestandteil des Tages und hatte schon fast den Charakter einer Prozession, da sich die Schenkenden in einer langen Schlange anstellten, um dem Grafen ihr Präsent zu überreichen. Jeder sollte es sehen: denn je größer das Geschenk, so durfte man sich ausrechnen, desto wichtiger der Gast und desto größer sein Einfluss beim Grafen, was wiederum dazu beitrug, dass die weniger Begüterten (oder die Verschuldeten) sich diesem Patron als Klienten anschließen und durch ihn ihre Interessen vertreten lassen würden. So entstand an einem Tag ein unsichtbares Netz an tatsächlicher und angenommener Macht, bestehend aus den Großen und weniger Großen, deren Einfluss entweder ein realer oder ein eingebildeter oder eine Mischung aus beidem war. All dies würde für die restliche Amtszeit des Grafen immer wieder neu ausbalanciert werden, mit sanften und manchmal auch ruckartigen Verschiebungen der Gewichte, aber letztlich immer diesem einen, ewig gleichen Prinzip folgend.
    Und der Graf saß inmitten von alledem wie eine fette Spinne, die die Fäden zog, aber andererseits auf die Tragfähigkeit des Netzes angewiesen war, um selbst Beute zu machen.
    Wie gesagt, es war ein Geschäft.
    Ich war froh, nur ein armer Landbaron zu sein. Ich bekam manchmal am Markttag eine Einladung zu einer Suppe. Wenn die alte Netty die Köchin war, musste ich sie aber auf jeden Fall bezahlen. Und dann war es auch keine Einladung, sondern eine Anweisung, gefälligst eine zu kaufen, ob ich nun hungrig war oder nicht.
    Aber ihre Suppen waren sehr lecker. Sie hatte ein Händchen für die richtigen Zutaten.
    So stellten Selur und ich uns in die Reihe, geduldig, respektvoll, aufmerksam. In meiner Hand hielt ich eine schmucklose Schatulle, meinem Rang als ärmlicher Adliger ohne Beziehungen angemessen, und dazu passte auch, dass ich den Inhalt der Kiste einst mit Blut und Schweiß, aber nicht mit Gold erworben hatte und dass er mir eigentlich gar nicht richtig gehörte, sondern nur das Symbol eines immateriellen Besitzes, einer Verpflichtung war.
    Ich war schon eine arme Sau.
    Gemäß dieser Rolle blieb ich demütig, bis ich an der Reihe war.
    Vor mir war zuletzt ein dickbäuchiger, polternder und schwitzender Mann in der Schlange, begleitet von einer gut zwanzig Jahre jüngeren Frau, die er zu meinem Entsetzen als seine Gattin vorstellte. Selur hatte sofort diesen tröstenden Blick, mit dem er die Geplagte bedachte und den diese mit einem hoffnungsvollen Lächeln erwiderte. Ich knuffte ihn warnend in die Seite und erhielt ein fragendes, unschuldiges Heben der Augenbrauen. Klar.
    Der schwitzende Mann vor mir verbeugte sich erstaunlich tief und überreichte Plothar keuchend ein schweres, goldenes Armband, auf dem ein ordentliches Juwel glitzerte. Ich war gehörig beeindruckt, die meisten Umstehenden auch, und der Graf wirkte außerordentlich erfreut. Mit dem Wert dieses Schmuckstückes würde er seine Garde ein halbes Jahr verpflegen und besolden können und immer noch genug übrig haben für die gelegentliche Mätresse. Plothar fand einige wohlgesetzte Worte durchaus aufrichtigen Dankes, die der Dicke mit großer Zufriedenheit zur Kenntnis nahm – berechtigterweise, denn er hatte sich gerade ein sehr lauschiges Plätzchen im Spinnennetz gesichert.
    Nun aber war ich an der Reihe. Meine Verbeugung war formvollendet und die Haltung unterwürfig genug, um keinerlei Missfallen hervorzurufen. Plothar starrte mich trotzdem voller Misstrauen an, und er hatte allen Grund dazu.
    Ich gab ihm die kleine Schatulle und er öffnete sie langsam. Er warf einen Blick hinein, seine Augen weiteten sich und der Schweißfilm auf seiner Stirn wurde eine Spur dicker. Er hob seinen Blick und sah mich an.
    In diesem Moment erkannte Plothar von den Levellianern, dass hier jemand vor ihm stand, der ebenfalls einen Platz in einem Netz innehatte. Der
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